Presseschau

Sonntagszeitung vom 15.12.2002

Er ist einer aus dem Volk geblieben

Andreas Schluchter zum 60. Geburtstag von Karl Odermatt

Immer wieder wird die Frage nach dem bekanntesten und besten Schweizer Fussballer gestellt. Ist es Severino Minelli, dieser GC-Fullback, der bis in den Zweiten Weltkrieg hinein die Stürmer das Fürchten lehrte? Wie steht es mit Seppe Hügi, diesem Basler Vollblutstürmer? Oder Jakob Kuhn, dem aktuellen Nationaltrainer und ehemaligen FCZ-Mittelfeldspieler? Nicht zu vergessen sind Rekordnationalspieler Heinz Herrmann und Stéphane Chapuisat. Und hat sich im zu Ende gehenden, so erfolgreichen Schweizer Fussballjahr 2002 nicht Murat Yakin mit dem FC Basel ganz entschieden in den Vordergrund gespielt?

Lassen wir es vorerst bei den Fragen bewenden. Denn das Klassieren von Persönlichkeiten aus den verschiedensten Epochen muss eine Spielerei bleiben.

Ein besonderer Schweizer Fussballer, Karl Odermatt, feiert am nächsten Dienstag seinen 60. Geburtstag. «Karli», wie er nicht nur in Basel überall gerufen wird, ist auch heute noch, 25 Jahre nach seinem Karrierenende, überaus populär.

In Luzern geboren, wuchs Odermatt ab seinem neunten Altersjahr in Basel auf. Bald schon wurden Karli, seine Schwester Ruth und Mutter Christine vom Vater im Stich gelassen. In der Schule nur Durchschnitt (was heisst das schon?), schenkte der junge Odermatt seine ganze Leidenschaft früh dem Fussball. Auf dem Pausenhof von einem Talentspäher entdeckt, stiess der schmächtige Blondschopf zu den Junioren des FC Concordia. 1962 wurde ein erster Traum wahr. Als Bub auf dem Landhof bei den Spielen des FC Basel als «Fläschlisammler» unterwegs, um das Sackgeld aufzubessern, wurde Odermatt zum FCB geholt, wo er noch ein Spiel mit seinem damals 32-jährigen Idol Seppe Hügi machte, ehe dieser den Klub verliess.

Fortan gings steil bergauf. Fünfmal Meister mit dem FCB, dazu vier Cupsiege (wovon 1977 mit YB!), 50 Spiele in der Nationalmannschaft - Karl Odermatt, Captain bei Concordia, Basel, den Young Boys und auch im Nationalteam, begeisterte die Zuschauer durch seine Vista, seine Pässe über mehr als das halbe Spielfeld, seine stets ähnlichen, dennoch aber erfolgreichen Körpertäuschungen und seine Qualitäten als Torschütze. In Basel sorgte er - federführend mit Trainer Helmut Benthaus - für eine Fussball-Euphorie, die auch der Schreibende als Jüngling sehr intensiv erlebte. Im «alten» Stadion St. Jakob, wo sich mehr und mehr auch die Kulturschaffenden der Stadt mit den Fussball-

Gerät er ins Erzählen, unterhält Karl Odermatt einen ganzen Saal
fans trafen, herrschte oft schon nach ein paar Sekunden Hochstimmung. Das Szenarium war immer dasselbe: Kurzes Anspiel im Mittelkreis, ein langer Pass von Odermatt auf den an der Seitenlinie sofort lossprintenden Stürmer Walter Balmer, und schon brannte es im gegnerischen Strafraum . . .

Trotz Karl Odermatt und Köbi Kuhn, diesen hervorragenden Mittelfeldspielern, blieb jedoch im Nationalteam der grosse Erfolg aus. Nur 1966 qualifizierte sich die Schweiz für die WM in England.

Karl Odermatt, seit 1991 zum zweiten Mal verheiratet, aber nur auf den Fussball zu reduzieren, hiesse, diesem Charakter nicht gerecht zu werden. Wo der im Berufsleben lange Zeit zu vertrauensselige und deshalb nicht immer erfolgreiche Odermatt heute noch aufkreuzt, steht er im Mittelpunkt. Er weiss mitzureissen, er ist auch neben dem Spielfeld eine Führungspersönlichkeit. Gerät er ins Erzählen, unterhält Karl Odermatt einen ganzen Saal.

Karl Odermatt, heute beim FCB in den Bereichen Marketing und Sponsoring tätig, wohnt mit seiner Familie im Oberbaselbieter Dorf Rickenbach. Er ist einer aus dem Volk geblieben. Er hat nie vergessen, wo er selbst seine Wurzeln hat. Er fühlt sich wohl in der Beiz um die Ecke. Bei aller Schlitzohrigkeit täuscht er nie etwas vor. Er denkt einfach und geradlinig. Er sagt, was ihn plagt. Er sprudelt heraus, was ihn freut.

Ach ja, da wäre noch die offen gebliebene Frage nach dem besten und bekanntesten Schweizer Fussballer aller Zeiten. Mir kommt bei aller Spielerei als Antwort eigentlich der Karl Odermatt als Erster in den Sinn.

Zurück