Presseschau

Die Wochenzeitung vom 09.12.2004

Die uniformierten Zugräuber

Polizei gegen Fussballfans · 427 Personen werden vor einem Fussballmatch aus dem offiziellen Extrazug heraus verhaftet. Das Prinzip «Blindes Huhn findet auch ein Korn» wird in der Schweiz zu gängiger polizeilicher Politik.
Von Armin Köhli

Sie sind FC-Basel-Fan und wollen sich in Zürich das Spiel GC gegen FCB anschauen. Vernünftigerweise nehmen Sie den Zug. In Basel haben Sie keine Wahl: Die Kantonspolizei verfrachtet Sie in den Extrazug, den regulären Intercity dürfen Sie nicht benützen. Die Fahrt verläuft ruhig, die Stimmung ist gut. Die Bahnpolizei fährt mit und kontrolliert den Zug. In Zürich Altstetten erwartet Sie die Stadtpolizei Zürich - und kesselt Sie ein. Wenn Sie männlich sind und die Polizei Sie für älter als 16 und jünger als 45 hält, werden Sie abgeführt und in die Polizeikaserne verfrachtet. Stunden später dürfen Sie wieder nach Hause. Ohne Fussballspiel, aber mit einer drohenden Anzeige wegen «Gefährdung der öffentlichen Sicherheit».

Der Altstetter Kessel war schon vorher angeordnet, auch wenn sich die Stadtpolizei mit «Meldungen über gewaltbereite Fans» herauszureden versucht. Dass der Einsatz geplant war, bestreitet auch Marco Cortesi, der Sprecher der Stadtpolizei, nicht. Im Zug seien gewaltbereite Chaoten mitgefahren, und man habe nicht noch einmal eine Situation wie Ende Oktober zulassen wollen, als rund 500 Basel-Fans nach dem Spiel FCZ-FCB in Zürich randalierten. Und die Polizei sei aus dem Zug heraus mit Flaschen und Petarden angegriffen worden und habe deshalb durchgreifen müssen, sagt er. Doch einen unmittelbaren Anlass für ein so massives Aufgebot gab es keinen; SBB-Sprecher Roger Baumann sagte gegenüber der «Basler Zeitung»: «Für FCB-Verhältnisse verlief die Fahrt problemlos.»

«Züri Bulle so nöd»

Die Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes scheint jenseits von gut und böse und wird aus Basel auch heftig bestritten. Zürcher und Basler Fanarbeiter - von Berufs wegen am Vertrautesten mit der Hooligan- und Fanszene, aber auch mit den «Hooliganismus»-Spezialisten der Polizei - halten die Aktion für kontraproduktiv. «Wer wird in Zukunft noch einen Sonderzug nach Zürich benützen?», fragt Marcus Meier vom Basler Fanprojekt. Und sein Kollege David Zimmermann vom Zürcher GC-Fanprojekt berichtet, ein Beamter der Fachstelle Hooliganismus der Stadtpolizei habe ihm gesagt, dass nicht die Fachstelle für den Kessel verantwortlich sei. «Das kam von oben», habe er gesagt.

Von oben? Die politische Verantwortung liegt bei der Zürcher SP-Stadträtin Esther Maurer, die das Polizeidepartement leitet. Über das Einsatzkonzept wurde sie im Vorfeld des Einsatzes vom Kommando informiert, bestätigt Polizeisprecher Cortesi. Die politische Wertung ist Sache der zuständigen Gremien. Grüne und Alternative haben im Zürcher Gemeinderat eine entsprechende Interpellation eingereicht. Der Kessel passt jedenfalls in die simpel gestrickte Repressionspolitik, die aus Bundesbern immer mehr gepredigt und angewendet wird.

«Echte» Basler Hooligans sassen im Extrazug keine. Nicht ein einziger. Die fuhren nämlich privat nach Zürich und trafen sich in der Innenstadt zu einer rituellen Schlägerei mit den GC-Hooligans der Hardturmfront. Die Polizei traf erst bei der zweiten Schlägerei beim Central ein. Die GC-Fans im Hardturm hingegen solidarisierten sich mit den verhafteten Baslern. Sie reagierten schnell und hielten noch während des Spiels ein Transparent «Züri Bulle so nöd» hoch.

Erinnerungen an Landquart

Polizeiliche Überfälle auf Züge scheinen in der Schweiz zur Tradition zu werden. Die Zürcher Kantonspolizei stoppte am 27. November in Winterthur eine S-Bahn, um mutmassliche Teilnehmer-Innen an einer - verhinderten - unbewilligten Demonstration zu kontrollieren (vgl. Seite 7). Und am 24. Januar kam es zum Landquarter Kessel: Die Polizei hielt in Landquart einen Zug mit tausend TeilnehmerInnen einer bewilligten, friedlichen Anti-Wef-Demonstration an, kesselte die Leute ein und griff sie mit Wasserwerfer, Tränengas, Gummigeschossen und Knallgranaten an.

Normalerweise bahnen Polizeiaktionen gegen «Hooligans» den Weg für Aktionen gegen Störenfriede aller Art. Doch vielleicht ist der sonntägliche Zürcher Polizeieinsatz gegen den Basler Extrazug ein Glück für PolitaktivistInnen und DemonstrantInnen: Im Basler Zug befanden sich so viele Unbeteiligte und Söhne aus besserem Haus, dass sich in Basel vehementer Protest regt. Der FCB protestiert, die «Basler Zeitung» berichtet überaus kritisch. Das Basler Fanprojekt - unterstützt vom FCB - koordiniert die Anzeigen Betroffener und bereitet eine Sammelklage vor. Die Verhältnismässigkeit solcher Einsätze wird künftig wieder Thema sein, und die Verantwortlichen werden es sich genau überlegen, bevor sie das nächste Mal einen Zug überfallen. ·

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