Basler Zeitung vom 11.12.2004
Mit der Zunahme der Gewalt rund um die Fussballstadien steigt auch die Verantwortung der Fussballvereine
ZU GAST: JOSEF ZINDEL UND ROLAND STARK
Schon heute unternimmt der FCB viel gegen Randale im Stadion. Alleine kann er das Problem aber nicht lösen.
110 Zeilen werden uns aus aktuellem Anlass hier und jetzt offeriert, jenen zu antworten, die uns vorwerfen, der FCB verharmlose seit Jahren die Probleme mit seinen Fans, er unternehme zu wenig gegen die Gewalt oder die Gewaltbereitschaft seines Anhangs.
Das ist, als hiesse man die Vertreter der Automobilwirtschaft, das Problem der Raserei nicht nur in fünf Sätzen zu erklären, sondern sich auch für alle Raser zu entschuldigen. Oder als müsste jeder Lehrer jede Schlägerei auf jedem Pausenhof verantworten und dabei auch noch alle Gründe und Lösungsmöglichkeiten in einer einzigen Zeitungsspalte auflisten. Oder jede Brauerei wäre an jedem Alkoholiker schuld.
Richtig ist: Eine Gesellschaft ohne Raser bringen wir nur zustande, wenn wir die Autos ganz und gar aus dem Verkehr nehmen. Das wäre theoretisch möglich, doch schon beim Prügeln im Pausenhof und beim Alkohol wirds schwieriger: Da würden selbst Verbote nicht wirklich helfen, weil Repression als alleinige Massnahme nie nachhaltig taugt.
110 Zeilen reichen immerhin, um auch hier offiziell festzuhalten: Wir vom FCB verharmlosen das Gewaltproblem nicht. So wie wir uns von der jüngsten Methode der Zürcher Polizei klar distanzierten, distanzieren wir uns in aller Deutlichkeit und ohne Wenn und Aber von jenen, die sich als unsere Fans ausgeben, aber nichts als Vandalismus und Gewalt im Kopf haben. Die wollen wir nie im Stadion sehen, nie vor dem Stadion, nie zuhause, nie auswärts, nie in Rot-Blau und nie in Schwarz-Weiss. Von ihnen grenzen wir uns auch jetzt an dieser Stelle ab, erst recht, wo wir dafür einmal wertvollen redaktionellen Platz erhalten und nicht, wie etwa nach den Vorfällen von Thun, teuren Inseratenplatz kaufen müssen.
Die Frage, ob wir zu wenig gegen das Problem des Chaotentums tun, ist schwieriger zu beantworten. Wir vom FCB wissen, dass wir diesbezüglich von allen Schweizer Clubs mit Abstand am meisten unternehmen. Wir arbeiten mit der Polizei zusammen, mit der Sozialarbeit, mit Sicherheitsexperten, dem Fan-Projekt und den Fans selbst. Und 29 800 unserer 30 000 Stadionbesucher sorgen notabene auch für eine sehr positive Fankultur.
Dies genügt aber offenbar nicht, wie auch das Imageproblem zeigt, das uns einige wenige zunehmend bescheren. Nur: Der FCB wird das Problem so wenig allein lösen können wie der FCZ oder GC, die (in etwas geringerem Ausmass) eigentlich ähnliche Probleme haben.
Wenn es deshalb weiterhin heisst: Lieber FCB, löse endlich das Gewaltproblem in und ausserhalb der Stadien, egal ob in Zürich, Basel oder Gelsenkirchen, und wenn unter den Clubs weiterhin das Sankt-Florians-Prinzip herrscht («Zum Glück sinds eure Fans und nicht unsere, die Scherereien machen»), dann sind wir überfordert.
Wenn der Auftrag aber lautet: FCB, hilf mit, ganzheitlich, clubübergreifend und nachhaltig, dazu mit der Hilfe der Politik und von Fachleuten im Bereich der Sicherheit und der Prävention, unterstützt auch von differenzierter Berichterstattung der Medien, dann würden wir sogar die Führung für Aufgaben übernehmen, die eigentlich weit ausserhalb unseres Kerngeschäfts Fussball liegen, nämlich im Bereich der Jugendarbeit, der Sozialarbeit, der Psychologie, der Justiz und der Ökonomie.
Zu Hassgesängen zu schweigen bedeutet, sie zu tolerieren und zu akzeptieren.
Fotos: Christian Flierl (links), Annette Boutellier (rechts)
Die, die nur Vandalismus im Kopf haben, wollen wir nie in Rot-Blau sehen.
Josef Zindel (51) ist Pressesprecher des FC Basel. Von 1982 bis 1996 war er Sportredaktor bei der Basler Zeitung, danach stellvertretender Chefredaktor der Zeitung «Sport» sowie Sportchef beim Schweizer Radio DRS.
Roland Stark (53) ist SP-Grossrat und ehemaliger Verfassungsratspräsident. Der bekennende Fussballfan spielte früher als Junior beim FC St. Gallen, heute besucht er regelmässig die Spiele des FCB und des SC Freiburg.
Der FC Basel muss sich von der Randale der «Fans» klar distanzieren. Sonst verliert er jede Glaubwürdigkeit.
Ein kurzer Blick über die Grenze: Seit der Bundesliga-Club SC Freiburg von Niederlage zu Niederlage eilt, steigt dort auch die Frustration der Fangemeinde. Dies zeigt sich vor allem an verbalen Aggressionen gegen Gastspieler, auswärtige Besucher und Schiedsrichter. Diese unerfreulichen Erscheinungen sind für Freiburger Verhältnisse aussergewöhnlich. Doch statt sich resigniert zurückzulehnen, zeigen die Verantwortlichen Flagge. In der Stadionzeitung und auf Flugblättern werden die Zuschauer von den Freiburger Fanorganisationen zur Ordnung gerufen: «Das Bild, das wir Fans in letzter Zeit abgegeben haben, entspricht nicht den Vorstellungen, wie wir unseren SC Freiburg unterstützen sollten. Pyrotechnik und beleidigende Rufe haben nichts im Freiburger Block verloren.»
Wir reden hier noch nicht von den gewalttätigen Chaoten, sondern «erst» von den hirnlosen verbalen Attacken auf das gegnerische Umfeld. Also vom Beginn der Gewaltspirale. Auf diesem Gebiet sind (zu) viele Basler Fans wahrlich Super-League-würdig. Der primitive Chor aus tausenden Kehlen gegen «feindliche» Torhüter («Bullshit, wäh, Arschloch, Wichser, Hurensohn») und die rituellen Hassgesänge gegen die Gäste auf und neben dem Feld lassen jede sportliche Fairness vermissen.
Aber, und hier kommt der entscheidende Unterschied zu Freiburg: Der FC Basel hat sich bisher von diesem beschämenden Treiben mit keiner Silbe distanziert. Auch wenn ein Fussballstadion keine Erziehungsanstalt ist, die viel gepriesene Vorbildsfunktion des Sports darf sich nicht auf Sonntagsreden beschränken. Schweigen bedeutet Tolerieren und Akzeptieren.
Nach dem problematischen Polizeieinsatz vor dem GC-Spiel dann die überraschende Wende: Spieler, Trainer und Vorstand des FCB verurteilen die Aktion mit markigen Worten, die baz spricht von «Sippenhaft», der Baslerstab gar von «Faschismus».
Zu den vorangegangenen Prügelorgien und Saubannerzügen durchgeknallter Basler «Fans» war diese deutliche Sprache bisher nie zu hören: Weder nach der zerstörerischen «Siegesfeier» in Thun, noch nach der Massenschlägerei in Zürich oder nach der Randale beim YB-Match vor drei Jahren. Von derart einfühlsamer Schonbehandlung durch den FCB kann die Zürcher Polizei nur träumen. Sie erfährt nicht Verharmlosung und schon gar keine Unterstützung, vielmehr trifft sie die Empörungskeule mit voller Wucht. Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn Murat Yakin via TeleZüri verständnisvolle Worte an die Adresse der Chaoten richtet, sich aber als Spieler kritisch mit der Einsatzdoktrin der Polizei auseinandersetzt. Diese zwiespältige Position - von einigen kritischen Basler Jorurnalisten zutreffend «Persilschein» genannt - kann von gewaltbereiten «Fans» nur als Aufmunterung zu weiteren Untaten interpretiert werden.
Der FC Basel hat die Probleme nicht geschaffen, er kann sie auch nicht (allein) lösen. Den Nährboden bildet das immer rücksichtslosere gesellschaftliche Umfeld. Elternhaus, Schule und Sportvereine sind gefordert. Ohne unmissverständliche Distanzierung von Gewalt (auch verbaler!) fehlt dem FCB aber die Glaubwürdigkeit für weitere Massnahmen.
Mit Datenbank gegen Randale
Vereine sind nun auch bei Auswärtsspielen für ihre Fans verantwortlich
Eskalation. Der Überraschungsangriff der Zürcher Stadtpolizei, die am vergangenen Sonntag am Bahnhof Zürich-Altstetten einen Extrazug mit FCB-Fans anhielt, dessen Passagiere während Stunden festhielt und damit vom Besuch des FCB-Spiels gegen GC abhielt, ist die bislang spektakulärste, jedoch auch umstrittenste Massnahme im Zusammenhang mit der Gewalt bei Fussballspielen. In Basel wurde vor allem kritisiert, dass sich unter den 427 Festgenommenen zahlreiche harmlose Fans befunden hätten. Die Stadtpolizei Zürich rechtfertigte die Aktion dagegen damit, sie hätte durch das konsequente Vorgehen ein Zeichen gesetzt, dass rund um Fussballspiele weder Gewalt noch Sachbeschädigungen toleriert werden (vgl. auch Seite 19).
Unabhängig von der Frage nach der Verhältnismässigkeit der Polizeiaktion ist die Gewalt vor, während und nach Fussballspielen in der Schweiz zunehmend ein Thema. Noch am selben Tag prügelten sich in Bern «Fans» des FC Zürich mit solchen der Berner Young Boys. Für weitere Ausschreitungen in den letzten Wochen stehen die Stadien von Sion und Bellinzona - sowie die Innenstadt von Zürich, wo sich «Fans» des FC Basel nach dem Spiel gegen den FC Zürich regelrechte Strassenschlachten mit der Polizei lieferten.
Aus diesem Grund wurde unlängst die Idee einer Hooligan-Datenbank wieder aus der politischen Schublade geholt (vgl. baz-kontroverse vom 6. November), die die Vereine inskünftig in die Lage bringen wird, Stadionverbote für gewaltbereite Fans auszusprechen.
Die Vereine - zumindest diejenigen der Super und der Challenge League - werden ihrerseits die Kausalhaftung einführen: Ab der Rückrunde 2005 können damit Vereine bei ungebührlichem Verhalten ihrer Fans im Stadion auch bei Auswärtsspielen zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. Als die Clubpräsidenten am 12. November diese Entscheidung fällten, waren nur zwei Vereine dagegen: Winterthur und - der FC Basel. tre