Basler Zeitung vom 03.11.2016
Heute ist ein besonderer Tag: Die FCB-Legende Kurt Thalmann feiert ihren 85. Geburtstag
Von Andreas W. Schmid
Kurt Thalmann sitzt im «Rheinfelderhof» und hat schon ein paar Minuten lang nichts mehr gesagt. Gedankenversunken bearbeitet er seinen Teller mit Fischfilet und Kartoffeln. Vorhin hat er von den schönen, aber auch schwierigen Zeiten in seinem Leben erzählt. «Ich war ein Kämpfer», sagte er, «und bin immer wieder aufgestanden. Ich habe viele Tiefschläge erlitten!» Dann wandte er sich seinem Fischfilet zu, doch die Gedanken waren sichtbar an einem anderen Ort – irgendwo in der fernen Vergangenheit.
Holen wir ihn wieder in die Gegenwart zurück. «Kurt, du wirst am Donnerstag 85 Jahre alt. Fühlst du dich auch so?» «Nein», sagt er, «es ist mir nie so lange vorgekommen. Das Leben rauscht an einem vorbei. Bei mir ging alles immer Schlag auf Schlag.»
Auch in der Liebe. Er lernte Frau Suzanne auf den hinteren Sportanlagen St. Jakob kennen, als sie ihren Brüdern bei einem Fussballmatch zuschaute. «Wir kamen miteinander ins Gespräch, nicht lange danach waren wir bereits verheiratet. Und bekamen Kinder.» Vier insgesamt.
Frecher, wirbliger Flügelspieler
Schnell gings auch beim FCB, für ihn viel zu schnell. Kurt Thalmann war Stammspieler jener Mannschaft, die 1953 Schweizer Meister wurde – zum ersten Mal in der Geschichte von Rotblau. Thalmann war 22, ein frecher, wirbliger Kerl auf dem linken Flügel, der früher oder später in der A-Nationalmannschaft gelandet wäre. Doch dann verliess er den FCB, bevor er sein volles Potenzial entfalten konnte. «Weil der Club zu wenig für uns sorgte. Nordstern gab sechs Spielern einen Job beim Staat.» Thalmann ging zu Cantonal Neuenburg, wo er eine Stelle beim Gaswerk erhielt. Fussballerisch wars aber ein Abstieg, weil Cantonal in der Nationalliga B spielte. So reichte es Thalmann nur zu fünf Einsätzen im B-Nationalteam.
Captain der Reserve-Nationalmannschaft war übrigens Hannes Schmidhauser, der Schauspieler. Von ihm erzählt er jedes Mal, wenn er Episoden aus früheren Zeiten wiedergibt. Ja, es ist wohl seine Lieblingsgeschichte aus jener Lebensphase, als er gegen den Ball kickte – zusammen natürlich mit jenem Tag, als seine Frau entbunden wurde, während er gerade auf einem Fussballplatz herumflitzte. Dabei hatte er noch den Wunsch geäussert, dass er das Spiel gegen den FCZ nicht mitmachen wolle, eben wegen des anstehenden Babytermins. Doch Trainer Ernst «Ente» Hufschmid hatte kein Gehör dafür und befahl: «Nichts da, du kommst mit!» Tatsächlich war es dann in der zweiten Halbzeit so weit: Der damalige FCB-Sekretär rannte aufs Spielfeld und winkte wild mit dem Telegramm: «Kurt, es isch e Bueb, es isch e Bueb!»
Der zähe Schauspieler
Doch zurück zu Hannes Schmidhauser. Auf ihn und GC traf Thalmann mehrmals und hatte selten Freude an diesen Begegnungen – zumindest auf dem Fussballplatz, denn daneben hatten die beiden es gut miteinander. Schmidhauser war ein zäher Hund als Fussballer, der Thalmann immer wieder zurückband. Irgendwann rief der FCB-Spieler entnervt: «Als Ueli, der Knecht, bisch guet, aber schutte kasch nid!» Schmidhauser lachte nur.
Später kamen Zeiten, in denen Thalmann selber definitiv nichts mehr zu lachen hatte. Was sich jetzt auch in seinem Gesichtsausdruck widerspiegelt. 1970 holte ihn Fust als Geschäftsführer einer Filiale nach Basel zurück. «Das war wunderbar, weil diese Stadt für mich das A und O ist.» So richtig konnte er es aber nicht geniessen, «denn ich war während der ganzen Zeit nur am Chrampfen». 1987 wurde er Knall auf Fall entlassen. Zuerst war er natürlich geschockt, später aber froh darüber. «Sonst wäre ich jetzt nicht hier, sondern schon lange auf dem Friedhof Hörnli gelandet.» Doch er stand wieder auf. «Ich bin halt ein Kämpfer.»
Und er kannte die richtigen Leute. Ruedi Beyer und Bruno Schmid holten ihn zur Credit Suisse, wo er am Empfang arbeitete. «Das ist der richtige Job für dich», sagten sie zu ihm, «denn du kannst es doch so gut mit den Menschen.» Von da an begann für ihn die schönste Zeit seines Lebens. Bei der Pensionierung hätten viele der Arbeitskollegen Tränen in den Augen gehabt. «Ich bekam Blumen und einen Fernseher und sogar das Taxi zurück haben sie mir noch bezahlt.»
Kurt Thalmann schüttelt den Kopf. «Ich würde nicht mehr zurück wollen», sagt er, «ich habe es heute richtig gut.» Sein Frau, die gestorben ist, fehlt ihm zwar, doch Norbert, einer seiner Söhne, schaut gut zu ihm. Und hilft, wenn es ein Problem gibt.
Jetzt will er wissen, wie gross dieser Artikel über ihn wird, denn er habe Stoff für ein ganzes Buch. «Das ist ein schöner Abschluss über mich», sagt er und bedankt sich im Voraus. «Kurt, das hast du schon vor acht Jahren gesagt, als wir für eine Geschichte mit dir auf den Landhof gingen und uns zusammen anschauten, wo du im Dress des FCB gespielt hast.»
Er senkt einen kurzen Moment den Blick. «Ich bin ja auch glücklich und selig, trotzdem frage ich mich: Wie lange noch? Und was kommt danach? Kommt überhaupt etwas?»
Die meisten Menschen in seinem Alter sprechen gelassen über den Tod, auch wenn es im Innern vielleicht anders aussieht. Kurt Thalmann hingegen ist eine ehrliche Haut und macht kein Geheimnis daraus, dass ihn beschäftigt, was irgendwann unvermeidlich sein wird. «Ja», sagt er, «ich habe Angst davor… und noch viel zu viel Freude am Leben.»
Das geliebte Kleinbasel
Das soll auch so bleiben und deshalb reden wir lieber wieder über die schönen Seiten im Leben. «Wo gefällt es dir am besten?» «Im Kleinbasel.» «Deine schönste Erinnerung?» «Die drei Reisen mit meiner Frau in die USA.» «Was ist die grösste Freude für dich?» «Im Wohnzimmer zu sitzen und ein Kreuzworträtsel zu lösen. Oder ‹Wer wird Millionär?› zu schauen. Oder zweimal pro Woche schön essen zu gehen. Oder…»
Er ist nun so richtig in Fahrt gekommen. Diese einfachen Fragen machen offensichtlich Spass. Aber: «Kurt, wir schreiben kein Buch, sondern haben nur Platz für eine Dreiviertel-Seite. Deshalb eine letzte Frage. Welchen Rat würdest du den Jüngeren unter uns gerne mit auf den Weg geben?»
Kurt Thalmann muss nicht lange überlegen: «Gib nie auf!»