Presseschau

Basler Zeitung vom 30.03.2019

Der Apfel ist reif

Zehn Jahre nach seinem Rücktritt als Spieler ist Thomas Häberli erstmals Cheftrainer – warum erst jetzt?

Von Tilman Pauls, Luzern

Zehn Jahre war er weg und eigentlich noch viel länger. Aber ihre Gesichter hat er nicht vergessen. Sie waren früher seine Trainer, seine Gegner oder seine Mitspieler. Manchen hat er geholfen, die richtige Versicherung zu wählen, andere kennt er aus dem Einkaufsladen oder einfach, weil man sich immer schon irgendwie gekannt hat. Viele von ihnen hat er jahrelang nicht gesehen. Aber jetzt stehen sie plötzlich neben dem Trainingsplatz mit graueren Haaren und dickeren Bäuchen und rufen ihm zu: «Schön, dass du wieder da bist.»

In solchen Moment merkt Thomas Häberli, wie lange er wirklich weg war.

Seit Ende Februar ist der 44-Jährige Trainer des FC Luzern. Als er das Team von seinem Vorgänger René Weiler übernommen hat, hatte der Club gerade ein Heimspiel gegen den FC Lugano verloren. 0:3. In der Tabelle stand man auf dem siebten Platz, nur sechs Punkte vor dem Barrageplatz, und es war klar, dass der Versuch mit Weiler gescheitert war.

Häberli holte aus den nächsten vier Liga-Spielen acht Punkte und schaltete die Young Boys im Schweizer Cup aus. Plötzlich wirkt in Luzern wieder alles so leicht und einfach, dass man selbst vor dem FC Basel heute keine Angst hat. Es herrscht Hoffnung und – viel wichtiger noch – Ruhe. Und das alles hat mit ihm zu tun, Häberli, dem Trainer-Neuling.

Die Kultfigur

2009 beendet Häberli seine Spielerkarriere. Zu einem Zeitpunkt, als sein Nachname sich in Bern und dem Rest der Schweiz längst verselbstständigt hat. Züri West tritt als «The Häberlis» auf, «Häbigoal» schiesst die Tore für die Young Boys. Häberli ist Kult in Bern, und er wird es auch immer sein.

Dann teilt Trainer Vladimir Petkovic ihm mit, dass er trotz eines Vertrags bis 2010 nicht länger auf ihn setzen wird. Im Mai 2009 bestreitet Häberli dann sein letztes Spiel in der Super League: Im Basler St.-Jakob-Park wird er nach 70 Minuten beim Stand von 2:0 für die Berner eingewechselt. Natürlich erzielt er wenig später das 3:0.

«Mir war schon vor meinem letzten Spiel klar, dass ich Trainer werde. Das war immer das Ziel», sagt Häberli. Aber wieso ist er erst jetzt dort angekommen? Warum hat es so lange gedauert? «Weil ich wusste, dass ich nicht direkt auf den Schleudersitz will. Sonst bin ich mit 50, 55 doch total ausgebrannt.»

Dass es gleich zehn Jahre dauern würde, damit hat Häberli selbst nicht gerechnet. Aber wahrscheinlich musste es so kommen.

Der Lebemann

Schon als Spieler ist er Spätzünder. Mit 20 schliesst er zum ersten Mal mit seiner Karriere ab, löst seinen Vertrag in Lausanne auf und kehrte nach Hause zurück. Erst mit Mitte 20 nimmt er den nächsten Anlauf, spielt für eine Saison in Basel, allerdings wenig erfolgreich. Auch bei YB dauert es, bis er sich durchsetzt und die Fans ihn verehren.

Dem Spieler wird nachgesagt, dass er mehr aus sich und seinem Talent hätte machen können als 74 Tore in 287 Ligaspielen für den FCB und YB. Stellvertretend steht Häberlis einziges Länderspiel, eine Viertelstunde beim 6:0 gegen die Färöer Inseln. «Es wäre viel mehr möglich gewesen», sagt Häberli heute, «aber ich hatte meinen eigenen Kopf. Ich habe in kein Schema gepasst.» Seinem Ruf hat es nicht geschadet, wahrscheinlich hat es ihm sogar geholfen. Häberli hat den Fussball gelebt, mit allem was dazu gehört. Alkohol, Zigaretten, kurze Nächte. Darum war er am Ende mehr als nur ein Spieler.

Die, die Häberli den Posten in der Super League nicht zutrauen, sehen noch immer zu viel vom Lebemann in ihm. Zu faul, zu wenig seriös, zu wenig fokussiert. Häberli sagt: «Als Profi habe ich auch mal getan, wozu ich Lust hatte. Aber meine Trainerlaufbahn habe ich von Anfang an exakt durchgeplant.»

Dieser Plan hat viele Stationen, das verraten die vielen Titel in Häberlis Vita. Spielertrainer, U18-Trainer, U21-Trainer, Assistent, Co-Trainer, Talentmanager, Spielerentwickler und Student an der Fachhochschule in Olten. Studiengang: Change-Management. «Alles, was ich gemacht habe, wollte ich lernen. Jeden Aspekt. Erst dann war ich so weit, dass ich sagen konnte: Jawohl, ich bin bereit für den Trainerjob. Der Apfel ist reif. Aber dazu hat es jede Stufe gebraucht.»

Die Zeit als Spielertrainer beim FC Perlen-Buchrain in der 3. Liga ist sein Testballon. Häberli will nach dem Rücktritt wissen: «Kann ich das überhaupt, Trainer sein? Springt der Ball rein oder springt er an den Pfosten?» Dass er so nebenbei Zeit hat, um drei Monate nach Australien zu reisen – umso besser.

Bei YB arbeitet er dann in der U18 mit einer besonderen Generation von Fussballern zusammen: Yvon Mvogo, David von Ballmoos, Michael Frey, Florent Hadergjonaj. Die ganze Woche kann er mit den Talenten arbeiten und erkennt zum ersten Mal, dass auch die beste Taktik nichts bringt, wenn man nicht mit Menschen umgehen kann.

Als der Anruf kommt, dass Häberli an der Seite von Martin Rueda Assistent in der Super League werden soll, fühlt er sich im ersten Moment genötigt. Heute sagt er, dass er nie mehr gelernt hat als in dieser Phase. Bei den Profis sieht Häberli wie es ist, wenn Menschen auf Erwartungen treffen. Und dass alle in eine Richtung ziehen müssen: Spieler, Trainer, Staff, Sportchef, Präsident. «Wenn es einer gut macht und zwei nicht, geht es nicht.» YB will damals Geld verdienen und erfolgreich sein. «Dann wird man am Ende halt Zweiter», sagt Häberli.

Der Gockel

Wie Häberli jetzt in der Business-Lounge der Swissporarena sitzt und von seinem Weg erzählt, zeichnet er eine gerade Linie nach, die ihn zu seinem heutigen Posten in Luzern geführt hat. Nur ein einziges Mal sei sein Plan in Gefahr gewesen: Als Rueda entlassen wird und Häberli sich ganz elementare Fragen stellen muss. Er ist zu diesem Zeitpunkt fast 40, hat Familie, ein Haus. Er kann sich vorstellen, wieder für eine Versicherung zu arbeiten, und vielleicht hätte er es sogar gemacht, wenn ihn nicht einen Tag später Massimo Ceccaroni angerufen hätte.

Im ersten Moment sagt Häberli zwar ab, weil Basel nicht Bern ist und er sich nicht bei der U21 des FCB sieht. Ceccaroni denkt: «Arroganter Gockel!» Aber beim zweiten Telefonat, noch am selben Tag, finden sich die beiden dann doch.

Der Unternehmensberater
Sechs Jahre ist Häberli beim FCB, erst als U21-Trainer. In der ersten Saison wird das Team Achter, in der zweiten Elfter, in der dritten wird Häberli abgelöst, weil der Abstieg droht. Er wird nach oben degradiert, zum Talent-Manager. Es ist die elegante Methode, um den Trainer nicht vor die Tür setzen zu müssen. «Es war nicht einfach. Es gab Phasen, da war ich unter der Woche alleine, weil meine Spieler bei den Profis oder mit dem Nationalteam unterwegs waren. Die waren erschöpft, als sie zurückgekommen sind. Das ist nicht einfach, für keinen Trainer.»

Bei seinem letzten Spiel gegen den Nachwuchs des FC Zürich verzichtet Häberli auf einige Spieler, weil das Verletzungsrisiko zu hoch wäre. «Da hätten andere Trainer aus Angst um ihren Job für sich geschaut. Ich habe mich um meine Spieler gekümmert.»

Im ersten Moment tut es weh, nicht mehr an der Linie zu stehen. Es ist – wenn man so will – seine erste Entlassung als Trainer. Aber Häberli kann als Talent-Manager weiter schulen, Spieler entwickeln und nähert sich dem Spitzenfussball an. Erst arbeitet er als Talent-Manager für Urs Fischer, dann mit Raphael Wicky, später wird er dessen Assistent und bleibt das auch unter Marcel Koller in der Hinrunde.

Anfang Januar teilt ihm Sportchef Marco Streller mit, dass der Club nicht mehr mit ihm plane. «Das hat gepasst», sagt Häberli, «ich hatte für meinen Geschmack eh zu wenig Aufgaben, um die ich mich kümmern konnte.»

Jetzt also Luzern. Häberli kommt aus der Region, er wohnt mit seiner Familie in Ballwil. 15 Minuten zum Stadion, er muss nicht mehr früh am Morgen aufstehen, damit er pünktlich im St.-Jakob-Park ist.

Häberli hat die Mannschaft nach seinen ersten Tagen als Trainer in wenigen Tagen stabilisiert und ihre Stärken gefördert. Er hat viel mit den Spielern geredet, hat sie einzeln zu sich geholt, Videos gezeigt. «Da geht es um klassisches Change-Management: Ich schaue, was läuft. Ich komme nicht mit der Sense, sondern optimiere. Ich analysiere: Wo sind die Ängste? Wie ist die Kommunikation?» Wenn Häberli über seinen Job redet, hört er sich oft an wie ein Unternehmensberater. «Safety in me», «Gruppen-Kohäsion», «Management by wondering around», «People-Business». Aber genau diesen Ansatz haben sie in Luzern offenbar gebraucht.

Der Motivator

Ob Thomas Häberli ein guter Trainer ist, wer weiss das schon. Bisher hat er gemacht, was René Weiler nicht getan hat. Er hat den Spielern den Glauben an sich selbst zurückgegeben. Aber was, wenn die ersten Niederlagen kommen? Was, wenn es mehr um Taktik geht als um Motivation. «Ich bin lange genug im Fussball dabei», sagt Häberli, «ich weiss, wie meine Mannschaft spielen soll.»

Sein Vertrag in Luzern läuft nur bis zum Sommer, vorerst. Sportchef Remo Meyer hat noch nicht mit Häberli gesprochen, wie es danach weitergehen wird. Im Moment spricht viel dafür, dass der Vertrag von Thomas Häberli verlängert wird. Dass sein Einstieg ins grosse Trainergeschäft gelungen ist.

So hatte er selbst es sich auch vorgestellt nach zehn Lehrjahren. Aber jetzt ist Thomas Häberli in der nächsten Phase angekommen und die lautet: «In den nächsten zehn Jahren bin ich Cheftrainer.»

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