Presseschau

SI Sport vom 19.07.2019

BASEL, DER VAR UND «ME TOO»

WIDMER GREIFT AN

Sportjournalisten-Legende MARIO WIDMER wundert sich über den Begriff «Krise» für die aktuelle Situation des FC Basel und hat einen ganz einfachen Rat für Präsident Bernhard Burgener.

EINES DER PROBLEME DES FUSSBALLS: Er ist, eigentlich, ein ziemlich gemeines Spiel, auch weil er Körperkontakt zulässt. Natürlich ist der Körperkontakt aber einer der wichtigsten Gründe, warum der Fussball so populär ist. Denn der erlaubte Körperkontakt ermöglicht es selbst den grossen, ungelenken Kerlen, im Fussball Millionen zu verdienen, weil sie zum Beispiel solche flinken, beweglichen, am Ball virtuosen Bürschchen wie einen Neymar völlig unschädlich machen können. Tatsächlich ist die Grenze zwischen erlaubtem und unerlaubtem Körperkontakt im Fussball fliessend wie beim Sex. Darum braucht es im Fussball gute Schiedsrichter, die sich auch einmal irren dürfen. Auch deshalb ist der Einsatz eines VAR, eines Video Assistant Referee, die schlechteste Erfindung, seit es den Fussball gibt. Jeder VAR sieht den Regelverstoss aus einem anderen Winkel; je mehr VAR zum Einsatz kommen, desto mehr Fehlentscheide! Nun, hier geht es nicht darum, den VAR im Sex vorzuschlagen, damit MeToo noch eine neue, komplexere Komponente bekommt. Hier geht es darum, auf die aufgeblasenen Probleme zu kommen, die gegenwärtig den FC Basel plagen. Die Probleme, ganz anders gelagert denn durch den Körperkontakt, basieren ebenfalls auf der Tatsache, dass der Fussball ein ziemlich gemeines Spiel ist. Nur will dies niemand zugeben.

DER FC BASEL ist zweifellos der mit Abstand beste Schweizer Fussballverein des Jahrzehnts. Meister 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017 erklärt alles. Die unglaubliche Erfolgsgeschichte basiert allerdings auf einer im Grunde höchst unsportlichen, am Ende für die Schweizer Meisterschaft sogar unfairen, wenn auch romantischen Gegebenheit. Die Frau eines Milliardärs verliebte sich in Rotblau: Gigi Oeri. Gigi machte das Wunder am Rheinknie möglich, sie öffnete für den FCB ganz einfach ihre Portokasse, wunderbares Stadion, immer bessere Spieler, dem Rest der Liga blieb nur der hilflose Beifall für den Verein aus einer anderen Welt. Dann ging Gigi in Pension, und was wir heute um das Joggeli erleben, ist absolut normal. Kein Chaos, keine Krise, einfach nur die gigilose und hoffentlich dennoch mögliche Gesundung des FC Basel. Wir werden sehen. Denn jetzt kommen wir zu einem weiteren Faktor des ursprünglichen Problems des grossen Fussballs. Die in seinem Kern fehlende Ehrlichkeit. Fussball, Profifussball ist gnadenlose Marktwirtschaft, durch praktisch keine sozialen Gesetze oder Elemente des Gutmenschentums abgefedert, das Recht der Reichen herrscht, der Erfolg kostet ganz einfach viel, viel Geld. Karl Marx mit seinen Thesen hätte an diesem Fussball grösste Freude gehabt.

BEIM OERI-FCB labten sich an Gigis Portokasse sehr viele auf ihre Art bestimmt fähige Menschen. Als die Milliardärin ausstieg, machten die Weitsichtigen unter ihnen bald die möglichst elegante Fliege. Nicht zuletzt der clevere Präsident Bernhard Heusler und sein nicht minder cleverer Sportchef Georg Heitz. Sie verliessen das schlingernde Schiffchen FC Basel im für sie selber besten Zeitpunkt. Und also kam der bedauernswerte Bernhard Burgener, dem die ganze Stadt nun auf die Kappe gibt. Burgeners wirklicher, doch gewaltiger Fehler: Er kam aus dem ebenfalls nicht sehr regulierten Business des Entertainment, glaubte darum, den gnadenlosen Dschungel im Profisport problemlos beherrschen zu können. Wie naiv! Wie überheblich. Er hätte besser ein bisschen vom Kirchenfürsten Hieronymus oder mindestens von Monsieur Marie-Henri Beyle lesen sollen. Monsieur Beyle, der vor 200 Jahren die knallharte Wirklichkeit überlebte, war mit Napoleon durch Italien, Deutschland und sogar Russland gezogen, den Tod, den Kanonendonner und den morbiden Gestank der Schlachten ständig in der Nase, als er unter dem Pseudonym Stendhal den gescheitesten Satz seines Lebens schrieb: Qui s’excuse, s’accuse. Wer sich entschuldigt, beschuldigt sich.

ALS BURGENER nach den Wirren um Trainer Marcel Koller und dem Rücktritt von Sportchef Marco Streller glaubte, den Medien Rechenschaft schuldig zu sein, folgte er einem politisch korrekten Berater in Sachen Kommunikation, entschuldigte sich zuerst für eigene Fehler, bevor er versuchte, seine zu stark von Emotionen getriebenen Mitarbeiter mit leeren Phrasen in Schutz zu nehmen. Er hätte sich besser an die einzige Konstante und immer gültige Regel im bezahlten Fussball gehalten, die da heisst: Gewinne den nächsten Match, denn nur der Sieger hat immer Recht! Der FCB hat immer noch eine hervorragende Mannschaft, mit Marcel Koller einen erstklassigen Trainer, national ausser YB keine Konkurrenz. Und YB wird früher oder später ebenfalls Opfer seines Erfolgs und der stetig steigenden Kosten, die in einer Beamtenstadt wie Bern für den grossen Fussball einfach nicht zu tragen sind. Dem FCB fehlt weder die Genialität der früheren Chefs, die im für den Verein schwierigsten Moment von Bord gegangen sind, um ihre eigenen Brötchen zu backen, noch fehlt Basel der hitzköpfige Sportchef Marco Streller, der zuliess, dass verschiedene Spieler sich beim Präsidium über den Trainer beklagten, und damit öffentlich dokumentierte, dass er immer noch so denkt wie ein Spieler. Die grossen Namen sind ersetzbar, dem FCB fehlt ganz einfach Gigi und ihr Geld. Die Frau schenkte Basel ein wunderbares Jahrzehnt, das jetzt vorbei ist.

BERNHARD BURGENER KANN ES immer noch schaffen, wenn er sofort damit aufhört, sich zu entschuldigen. Seinen Kommunikationsberater entlässt. Dafür alles daran setzt, den nächsten Match zu gewinnen. Immer wieder nur das. So einfach ist das mit dem Fussball.

Zurück