Presseschau

NZZ vom 17.08.2019

Aneurysma – gefährliche Gefässausbeulung im Gehirn

Zur schweren Verletzung des FCB-Stürmers Ricky van Wolfswinkel

Nicola von Lutterotti

Die schwere Gehirnerschütterung, die Ricky van Wolfswinkel im Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Linz vor anderthalb Wochen erlitt, hat ihm möglicherweise das Leben gerettet. Denn wie am Donnerstagabend bekanntwurde, förderte die Untersuchung dieser Verletzung beim Stürmer des FC Basel eine Gefässmissbildung im Gehirn zutage, die lebensbedrohliche Folgen haben kann. Die Rede ist von einer ballonartigen Ausstülpung einer Schlagader im Gehirn. Solche Hirnaneurysmen rufen meist keine Beschwerden hervor und werden daher, falls überhaupt, in der Regel zufällig entdeckt. Das war auch bei van Wolfswinkel der Fall.

Bis zu sechs Prozent

Auch stumme Hirnaneurysmen bergen allerdings Risiken. Denn in Abhängigkeit von ihrer Grösse und ihrer anatomischen Lage können sie aufreissen und folgenschwere Hirnblutungen nach sich ziehen. Ist es erst so weit gekommen, sind die Aussichten der Betroffenen, in ihr vorheriges Lebens zurückzukehren, ausgesprochen gering. So hat etwa ein Drittel der Patienten das Glück, keinerlei Folgeschäden davonzutragen. Die übrigen sterben oder erleiden teilweise schwere Behinderungen, darunter Lähmungen, Sprachstörungen oder auch kognitive Defizite. Wird die Gefässblase rechtzeitig erkannt und behandelt, bleibt den Betroffenen ein solches Los gemeinhin erspart. Insofern könnte van Wolfswinkel Glück im Unglück gehabt haben.

Laut verschiedenen Hinweisen dürften bis zu sechs Prozent der Bevölkerung, also ein beträchtlicher Anteil, von Hirnaneurysmen betroffen sein. Diesen Schluss legen unter anderem Obduktionsergebnisse nahe. «Aber auch der wachsende Einsatz von bildgebenden Verfahren wie Kernspin und Computertomografie haben dazu geführt, dass Hirnaneurysmen inzwischen zunehmend häufig diagnostiziert werden», sagt Luca Regli, der Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsspital Zürich. Solche Scans würden etwa zur Abklärung von Schwindel, Kopfschmerzen oder auch Schädel-Hirn-Traumata – wie bei van Wolfswinkel – vorgenommen. «Die Hirnaneurysmen sind dabei meist ein Zufallsbefund und nicht ursächlich für die Beschwerden», sagt Regli.

Wie Hirnaneurysmen, die vergleichbar einem Luftballon aus der Arterie entspringen, genau entstehen, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Es gibt jedoch eine Fülle von Faktoren, die solchen Gefässblasen den Weg bereiten. Dazu zählen vor allem eine angeborene Schwäche der Gefässwand, Tabakkonsum und hoher Blutdruck. Ob auch Kopfverletzungen die Ausbildung von Hirnaneurysmen begünstigen, ist dagegen noch offen. «Der mit Abstand wichtigste Risikofaktor ist das Rauchen, und zwar sowohl was die Entstehung als auch was das Aufplatzen von Hirnaneurysmen angeht», sagt Regli.

Gefässausbuchtungen im Gehirn seien längst nicht immer lebensbedrohlich, betont der Neurochirurg. Wie gross die Gefahr sei, dass ein Aneurysma aufplatze und daher mit einem Eingriff ausgeschaltet werden müsse, lasse sich nicht immer ohne Weiteres vorhersagen. «Wenn der Eingriff völlig risikolos wäre, würden wir alle Betroffenen behandeln. Das ist aber leider nicht der Fall», sagt Regli. Daher müsse man im Einzelfall die Gefahr, dass die Gefässblase einreisse, immer den Risiken eines Eingriffs gegenüberstellen. Diese seien in den letzten Jahren gleichwohl deutlich zurückgegangen. Denn Hirnaneurysmen könne man heute sehr viel schonender angehen als in der Vergangenheit.

Zweifache Erholung nötig

Zur Wahl stehen dabei grundsätzlich zwei Verfahren. Die herkömmliche und meist auch wirksamste Methode besteht darin, die Gefässblase abzuklemmen mit einem Titanclip, der über eine kleine Öffnung in der Schädeldecke eingeführt wird. Zudem besteht seit einiger Zeit die Möglichkeit, die krankhafte Vorwölbung der Hirnschlagader mithilfe eines über das Gefässsystem vorgeschobenen Katheters zu behandeln. Dabei wird das Aneurysma mit platinbeschichteten Metallfäden (Coils genannt) gefüllt und so von der Zirkulation abgeschnitten. Welche Vorgehensweise besser ist, hängt von etlichen Faktoren ab. Hierzu zählen Erreichbarkeit und Grösse des Aneurysmas, aber auch die Erfahrung des behandelnden Arztes. Laut Regli kommt es bei zwei bis drei Prozent der Patienten, die sich solchen Eingriffen unterziehen, zu teilweise ernsten Komplikationen. «Das heisst zugleich aber, dass die Therapie in rund 98 Prozent der Fälle komplikationslos gelingt», fügt Regli hinzu.

Zu hoffen bleibt, dass van Wolfswinkel zu letzterer Gruppe gehört. Wann der Niederländer wieder auf dem Platz stehen wird, lässt sich derzeit allerdings nicht absehen. Denn der 30-Jährige muss sich nicht nur von dem Eingriff erholen, was üblicherweise rund drei Monate dauert, sondern auch von der Hirnerschütterung.

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