Presseschau

Basler Zeitung vom 15.01.2020

«Ich will eine Wand sein»

Ruedi Zbinden (60) will den Sport vor externen Einflüssen schützen. Der Sportchef erzählt, wie mühsam es ist, mit jungen Spielern Verträge abzuschliessen, wie das System die Fussballer kaputtmacht und wie er das Sitzungszimmer verlässt, wenn es ihm zu viel wird.

Samuel Waldis, Marbella

Jasper van der Werff ist bisher Ihr einziger Winterzugang. Was ist er für einer?

Jasper ist sehr aufmerksam, spricht ruhig und fasst klare Gedanken. Er wollte zu uns. Und ich spürte, dass das nicht die Worte eines Agenten sind. Das gefällt mir.

Hat das etwas mit seiner Position zu tun?

Ein Innenverteidiger muss ruhig sein, sonst macht er zu viele Fehler. Jasper ist als Mensch also so, wie er als Fussballer sein muss. Es gibt aber auch Spieler, die sind auf dem Platz ganz anders als der Mensch. Carlos Varela zum Beispiel war feurig, aggressiv und haderte mit dem Schiedsrichter. Neben dem Platz war er ein Lamm.

Wie erklären Sie sich die Unterschiede zwischen dem Fussballer und dem Menschen?

Jetzt, an diesem Tisch hier, bin ich ruhig. Aber auf dem Platz war ich mit dem Schiedsrichter beschäftigt, laut und aggressiv. Vielleicht habe ich als Fussballer etwas ausgelebt, was als Mensch in mir drin war.

Wie wichtig sind Verhaltensmuster, wenn Sie Spieler beobachten?

Vom Privatleben weiss ich oft wenig. Aber ich sehe, wie ein Spieler ins Stadion kommt, wie er es verlässt, und alles, was er zwischendrin tut. So kann ich sein Verhalten einschätzen. Früher glaubte ich, viel mit Spielern reden zu müssen. Vor allem bei den Südamerikanern. Aber viele sind von Agenten gesteuert. Die Fussballer sind nicht frei.

Was sagt das über einen Spieler aus, wenn sein Agent durch ihn spricht?

Also es gibt auch eigenständige, wie unser 18-jährige Stürmer Julian von Moos. Er ist so klar wie ein 25-Jähriger und führt auch mal ohne Berater ein Gespräch. Und dann gibt es 30-Jährige, die alles nur mit einem Berater besprechen wollen. Dann frage ich: warum denn? Wenn du vor dem Tor den Ball kriegst, hilft dir kein Berater der Welt.

Sie sind seit 42 Jahren im Berufsfussball. Es ist doch okay, wenn ein Berater dieses Ungleichgewicht in Sachen Erfahrung ausgleicht. Spätestens, wenn es um den Vertrag geht.

Wenn ein Spieler richtig gut ist, braucht er keinen Berater als Verkäufer, sondern nur einen Anwalt. Die Clubs kontaktieren ihn automatisch. Aber ich habe nichts gegen Berater, es gibt sehr gute Firmen. Wir erleben das bei Eric Ramires und Arthur Cabral. Aus Brasilien kommen immer wieder Betreuer, um ihnen im Alltag zu helfen, etwa mit der Wohnung oder dem Auto.

Wie schnell geht die Integration, wenn sich ein eingeflogener Helfer ständig um alles kümmert?

Bei Cabral waren die Helfer entscheidend. Sein Vorteil war, dass er schon in Sao Paulo war. Und wer in einer Weltstadt gelebt hat

der schlägt sich auch in Basel durch?

Das meine ich. Wenn es einem Fussballer gut geht, spielt er besser. Beim FCB helfen alle mit. Deswegen haben sich Ausländer bei uns immer schnell integriert.

Gewisse Spieler musste der FCB in Geldfragen beraten.

Wir geben nur Ratschläge. Dass sie verschiedene Konti machen sollen, eines mit Euro, eines mit Franken und eines, das sie nicht anfassen. Wir haben bei der Bank Leute, die unsere Spieler beraten. Einige nehmen diese Hilfe an und begnügen sich mit 5000 Franken im Monat. Den Rest legen sie zur Seite. Andere interessiert das nicht. Sie kaufen bald mal ein Auto.

Wie gingen Sie als Spieler mit Geld um?

Ich war Lehrling und hatte einen Lohn als Fussballer. Auch wenn dieser bescheiden war, kaufte ich mir ein sportliches Auto. Heute ist es viel extremer. Einige haben schon früh hohe Löhne. Es ist immer schwieriger geworden, einen Vertrag mit einem eigenen Junior zu machen. Manchmal glauben wir, dass wir uns einig werden. Doch die Spielerpartei sagt: Nein, wir unterschreiben noch nicht.

Wie reagieren Sie als FCB-Sportchef?

Wir wollen, dass die Löhne bei unseren Junioren ähnlich sind. Auf Missstimmung wegen Lohnunterschieden können wir verzichten. Zudem erfüllen wir nicht alles: Wenn einer derart hohe Forderungen stellt, dann sind wir vielleicht nicht mehr der richtige Club.

Wollen Sie ein Signal senden?

Es ist uns wichtig, dass es nicht heisst, beim FCB kann man jede Forderung stellen.

Wann haben Sie zuletzt gesagt, es reicht?

Es gab einige Fälle. Dann stehe ich während der Verhandlung auf und verlasse das Sitzungszimmer. Dass Spieler und Agenten immer mehr fordern, ist mühsam. Manchmal verhandeln wir deswegen monatelang. Und dieses Problem hat nicht nur der FCB.

Sie wollten das Angebot ablehnen, sind im Juni 2019 aber trotzdem Sportchef geworden. Haben Sie Spass?

Ich freue mich jeden Tag, mit der Mannschaft zusammen zu sein. Klar sind die Gespräche mit Agenten nicht immer lustig, aber sie gehören dazu. Ich kenne dieses Geschäft, seit ich als 18-Jähriger den ersten Vertrag unterschrieben habe.

42 Jahre später beschäftigen Sie sich noch immer mit diesem Ballspiel.

In Rheinfelden gibt es eine Brücke nach Deutschland, über die die Deutschen fuhren, nachdem sie in Bern den Weltmeistertitel geholt hatten. Bei dieser Brücke steht das Hotel Schiff. Vor den Spielen war der FCB immer dort, die Karli Odermatts und Ottmar Hitzfelds. Und ich war auch da, als Bub, und holte Unterschriften. Seither bin ich mit diesem Spiel verbunden.

Gibt es für Sie einen Grund, den Fussball hinter sich zu lassen?

Es gibt Dinge, die mir nicht gefallen. Und Sachen, für die ich kämpfen muss.

Nämlich?

Wenn zu viele Leute von aussen Einfluss auf den sportlichen Bereich nehmen. Ich will eine Wand sein, damit nichts von aussen in den Sport dringt. Dafür mache ich alles. So kann das Team fokussiert arbeiten.

Ist es ein Problem, dass David Degen Teilbesitzer des FCB ist und sein Zwillingsbruder Philipp den FCB-Spieler Julian von Moos berät?

Seit David im Club ist, habe ich mit Philipp nie über Julian gesprochen. David und Philipp sind Profis und wissen, dass man diese verschiedenen Interessen trennen muss. David hat an einer Medienkonferenz und mir persönlich gesagt, dass er sich nicht in solche Fragen einmischt.

Wie viel Energie brauchen Sie für das FCB-Projekt in Indien?

Ich habe ein, zwei Mal mit Massimo Ceccaroni (Projektleiter Indien, d. Red.) darüber geredet. Er sagt, das Projekt sei interessant.

Eine fussballerische Perle finden Sie allerdings kaum in Indien.

Es wird für uns ohnehin immer schwieriger, Qualitätsspieler zu holen. Weil die grossen Clubs grosse Netzwerke haben und Preise zahlen, die für uns zu hoch sind. Wir müssen neue Wege gehen. Unsere Bemühungen mit dem argentinischen Club San Lorenzo sind wichtig und haben Potenzial. Und Franco Costanzo unterstützt uns jetzt im südamerikanischen Markt. Mit ihm entwickeln wir neue Scouting-Ideen.

Was schwebt Ihnen vor?

Zu diesen Ideen möchte ich noch nichts sagen. Wir müssen unsere Nische finden. Als mittelgrosser Verein ist das schwierig. Aber ich glaube an unsere Chance. Bei Omar Alderete haben wir beispielsweise sehr gut verhandelt und ihn relativ günstig bekommen. Aber öfter als alle zwei Jahre verpflichten wir einen solchen Spieler kaum. Dafür sind die grossen Clubs einfach zu gross.

Explodiert das Geschäft mit dem Fussball irgendwann?

Das frage ich mich auch. Ich finde, das Fernsehen überträgt zu viel Fussball. Der Fan kann das nicht verarbeiten. Die vielen TV-Abos sind zu teuer - und wenn ich in England den Taxifahrer frage, ob er auch zum Spiel komme, sagt der: Das kann ich mir nicht leisten.

Die Spieler machen die Überflutung mit.

Sie haben keine Wahl. Was mit ihnen passiert, wird immer schlimmer. Das System macht sie kaputt. Wenn zum Beispiel Jonas Omlin die EM-Vorbereitung und die EM mitmacht, hat er im Sommer kaum einen freien Tag. Zudem verbringt er Wochen in Hotels. Wie soll ein Spieler das verarbeiten?

Sagen Sie es uns.

Wenn wir die Spieler überlasten und die Zuschauer übersättigen, verliert das Fussballgeschäft irgendwann an Attraktivität. Die Zuschauer bezahlen viel für guten Fussball. Wenn überlastete Spieler diesen nicht mehr zeigen können, hat niemand etwas davon. In meinen Augen sind vor allem die Verbände verantwortlich, die die Wettbewerbe austragen. Und ich frage mich, ob sie ihre Verantwortung wahrnehmen.

Welche Verantwortung übernimmt der FCB?

Wir müssen die Spieler so vorbereiten, dass sie trotz hoher Belastungen ihre Leistung bringen. Sie sollen Freude haben. Auf vielen Position haben wir zudem junge Spieler integriert. Wir sind mit einem sehr jungen Abwehrzentrum erfolgreich, 2019 war ein gutes Jahr. Trotzdem sind manche unzufrieden.

Die Medien?

Die Medien, die Fans und wir selber. Wir wären alle lieber Tabellenführer. Aber dass Junge manchmal weniger konstant sind als erfahrene Spieler, ist doch klar.

Neu ist Percy van Lierop für Ihre Junioren zuständig. Offenbar waren Sie unzufrieden mit dem Engagement des Holländers.

Ich habe nichts gegen neue Ideen und nichts gegen neue Leute. Wir müssen uns weiterentwickeln. Dazu gehört auch die Nachwuchsabteilung, die für den FCB und sein Konzept etwas vom Wichtigsten ist. Van Lierop leitet sie, CEO Roland Heri und ich stehen ihr vor.

Van Lierop ist schon Monate auf der Lohnliste. Warum hat er erst jetzt eine operative Aufgabe?

Eine solche Veränderung braucht Zeit. Wir überlegten vor einem halben Jahr, dass Massimo fix nach Indien gehen könnte. Da schlug ich vor, mit Marco Schällibaum, Thomas Paul und Marcel Herzog weiterzumachen, wenn Massimo weg ist. Die drei arbeiten inzwischen unter Van Lierop. Das neue Konstrukt haben wir im Winter finalisiert, deswegen ist er erst jetzt operativ tätig.

Bleibt Marcel Koller nach der Saison Trainer?

Zehn Jahre arbeitete ich mit Christian Gross. Marcel ist so Profi wie er, ein absoluter Arbeiter, deswegen haben diese Trainer Erfolg. Das ist keine «Lobhudelei», wie das diese Zeitung geschrieben hat. Solche Trainer können unangenehm sein. Aber viele Spieler sagen mir: «Gross war der beste Trainer, den ich je hatte. Er hat alles aus mir herausgeholt.» Marcels Vertrag hängt nicht vom Start in die Rückrunde ab, ich beobachte seine Arbeit längerfristig. Wenn wir das erste Spiel verlieren, werde ich jedenfalls nicht nervös.

Wann werden Sie nervös?

Ich bin es bei jedem Spiel. Deswegen sitze ich nicht mehr bei der Presse, weil ich manchmal ausrufe, sondern bei der Eckfahne neben der Senftube. Dort habe ich meine Ruhe.

Von dort sehen Sie doch kaum etwas.

Egal wo ich sitze, ich sehe alles. (lacht)

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