NZZ am Sonntag vom 10.10.2021
Vor gut zwei Jahren war Timm Klose noch Nationalspieler, jetzt ist er arbeitslos. In Basel hat er sich letzte Saison aufgerieben, sein Traum, daheim zu spielen, ist vorbei. Was macht das mit ihm? Interview: Christine Steffen?
NZZ am Sonntag: Letzte Saison waren Sie auf Leihbasis in Basel, vor kurzem haben Sie den Vertrag mit Norwich aufgelöst. Seither sind Sie ohne Verein. Wie gehen Sie damit um?
Timm Klose: Die ersten zwei, drei Wochen nach der Vertragsauflösung in Norwich hatte ich extrem Mühe. Ich ging aus England weg und dachte, ich finde sofort wieder etwas. Jetzt bin ich in der Phase, in der ich einfach warten muss: bis sich in einem Klub jemand verletzt zum Beispiel und schnell jemand gebraucht wird.
Was macht es so schwierig, einen Verein zu finden?
Der Markt ist total übersättigt. Die Vereine können keine Spieler verkaufen, es gibt kaum noch eine Nachfrage. Wenn etwas läuft, dann vor allem auf Leihbasis. Es gibt praktisch keine Bewegung – ausser auf dem Topniveau der Superstars. Corona hat die Klubs unerwartet getroffen, jetzt müssen sie stark zurückfahren. Das Gute ist, dass ich ablösefrei bin. Ich bin nicht mehr auf der Suche nach dem grossen Geld. Aber ich suche etwas, was mich und meine Familie noch einmal reizt, etwas, in das ich Emotionen investieren kann.
Wann sagen Sie: Es reicht mir, ich mag nicht länger warten?
Wenn ich bis im Winter keinen neuen Verein finde, dann ist die Karriere zu Ende. In den zwei, drei Wochen, als es mir nicht gut ging, habe ich mir viele Gedanken gemacht. War es das jetzt wirklich? Ich bin sehr ehrgeizig, und plötzlich tauchen Fragen auf. Will mich noch jemand? Werde ich überhaupt noch gebraucht? Bin ich zu alt?
Sie fallen aus einem System, das Ihr Leben bestimmt hat.
Ich habe das Glück, dass ich mir mit meinem familiären Hintergrund eigentlich keine Sorgen um meine Existenz machen muss. (Klose stammt aus einer alteingesessenen Basler Familie, die Red.) Trotzdem machte ich sie mir.
Warum?
Ich wollte immer alles selbst machen. Klar weiss ich, dass ich von der Familie aufgefangen würde, fiele ich auf die Schnauze. Aber ich will es allein schaffen. Dann denke ich: Wenn wir, meine Frau und ich, 90 Jahre alt werden, welchen Lebensstil müssen wir haben, damit es reicht? Ich würde nicht sagen, ich leide unter einer Midlife-Crisis, aber plötzlich haben mich viele Fragen beschäftigt, die die Zukunft betreffen. Und wirklich schade wäre, wenn die Karriere fremdbestimmt enden würde. Nicht zu einem Zeitpunkt, an dem ich sage: So, jetzt ist fertig.
Was ist nach den schwierigen Wochen passiert?
Ich habe mich geöffnet, wieder Gespräche gesucht. Es hat sich die Gelegenheit ergeben, mit der U 21 des FC Basel zu trainieren, die Arbeit mit den Jungen macht mir richtig Spass. Ich fühle mich selbst fünf Jahre jünger. Und ich kann verschiedene Bereiche des Vereins kennenlernen.
Brauchten Sie Unterstützung in der schwierigen Zeit?
Ich habe seit langer Zeit einen Mental Coach. Wir haben oft telefoniert. Es ist gut, in einer solchen Situation mit einer neutralen Person zu reden. Wenn ich mit ihm offen sprechen kann, fällt es mir auch leichter, mich gegenüber anderen Menschen zu öffnen. Früher hätte ich doch nicht erzählt, dass es mir schlecht ging. Mittlerweile kann ich es sagen, alles andere wäre einfach gelogen.
Sie haben auch schon über Ihre Abstürze und schwierigen Phasen gesprochen.
Mich beschäftigt das Thema mentale Gesundheit stark; ich möchte zukünftig in diesem Bereich aktiv werden. In der Schweiz ist das Thema allgemein wenig präsent, man sagt schnell: «Nein, nein, es geht mir schon gut», auch wenn man Hilfe brauchen würde.
Im Sport ist es präsenter als auch schon. Die Kunstturnerin Simone Biles hat über ihre seelischen Probleme geredet, die Tennisspielerin Naomi Osaka ebenso.
Aber wie war es anfangs bei Biles? Dort hiess es, als sie an den Olympischen Spielen in Tokio nicht turnen konnte: «Warum lässt sie ihr Team hängen?» Ich weiss, wie das ist, wenn man einfach nicht mehr kann; ich hatte diese Zustände auch. Als ich in Nürnberg war, hoffte ich, dass der Trainer meinen Namen nicht sagen würde, als er die Spieler für den Match aufzählte. Ich hatte Angst, auf dem Level meine Leistung nicht zeigen zu können. Eine totale mentale Blockade. Junge Leute heute verstehen besser, dass es mentale Einbrüche geben kann. Unsere Elterngeneration fand noch: Das ziehst du jetzt durch. Ich bin der Meinung, dass der Druck auf die Menschen ständig zunimmt, ich höre das in vielen Gesprächen, das muss doch thematisiert werden.
Sie mussten im Sommer mit einer Enttäuschung zurechtkommen. Vor zehn Jahren schafften Sie es nicht in die erste Mannschaft des FCB. Seither haben Sie den Traum, einmal dort zu spielen. In der letzten Saison war es so weit, doch man beschäftigte Sie danach nicht weiter. Der Traum ist wieder vorbei.
Es begann mit hohen Erwartungen, die Medien schürten sie, die Fans hatten sie und ich selbst auch. Ich realisierte nicht mehr, von wo ich eigentlich kam. Ich war davor ein Jahr verletzt, ich musste den Tritt wieder finden. Doch ich erlaubte mir nicht, Fehler zu machen. Und dann war es einfach zu viel.
Es klingt, als hätten Sie sich viel aufgeladen.
Ich habe viele Freunde, die Fans sind von diesem Verein, ich selber bin es auch. Ich gab mir keinen Moment, um zu atmen, ich wollte überall nur noch helfen, den Verein wieder in die richtige Spur bringen. Als ich merkte, dass die Fans mit der Führung nicht zurechtkamen, redete ich mit ihnen, dann mit der Führung. Es war der Fan in mir, der dachte, ich könne das Ganze zusammenbringen. Ich habe vergessen, dass ich nur für den Fussball hier war. Eigentlich war ich immer ein konstanter Spieler, aber plötzlich schwankten meine Leistungen, zweimal gut, einmal schlecht ... Dann fragst du dich: Was kann ich noch machen, wo kann ich mich verbessern? Ich habe viel mit Valentin Stocker und Marco Streller gesprochen, ich wollte wissen, wie es war, als sie zurückkamen. Aber ich kam nie zur Ruhe. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste noch mehr machen.
Sie sind in eine verrückte Phase geraten: Statt vor Ihrem Publikum spielten Sie in einem leeren Stadion, in der Stadt baute sich ein starker Widerstand gegen die Führung um Bernhard Burgener auf, es gab viel Unruhe im Verein. Wussten Sie, dass es so schwierig werden würde?
Als ich im Nachhinein in Ruhe darüber nachdachte, fiel mir ein, dass es ähnlich war wie zu der Zeit, als sich meine Eltern trennten. Ich wollte damals alles retten. Genau das wollte ich auch beim FCB. Aber es war nicht mehr möglich. Ich habe das spät realisiert. Und wenn man so tief drinsteckt, macht man plötzlich Fehler. Nicht nur auf dem Platz, auch in Interviews sagt man etwas, was nicht geschickt ist. Aber es war trotzdem eine gute Erfahrung.
Was war gut daran?
Ich konnte meinen Traum ja doch leben. Es hat mich als Person noch einmal stärker gemacht, ich habe dazugelernt, wie ich mit schwierigen Situationen und mit mir selbst besser umgehen kann. Vor allem im Fussball, einem sehr harten Business, in dem das Liebe, Nette wenig Platz hat. Manchmal sagt mir meine Frau, ich sei zu nett. Aber ich würde diesen Weg nie verlassen. Ich will immer helfen.
Haben Sie wirklich nicht gehadert, als Ihnen die neue Führung um David Degen mitteilte, dass es für Sie nicht weitergehen würde?
Es war ja das zweite Mal, dass ich weggeschickt wurde. Aber ich war anders gepolt als beim ersten Mal. Mir war bewusst, dass es schwierig werden würde. Ich bin 33, hatte eine gute, aber keine super Saison. Was würde ich als Verein in einer solchen Situation machen: Ältere Spieler verpflichten, die auf einem hohen Lohnniveau sind, oder Jüngere, die ich irgendwann vielleicht verkaufen kann?
Im Kopf ist es klar. Aber es gibt ja immer noch ein Gefühl dazu.
Mein Problem ist: Ich bin zu stark Fan von diesem Verein. Mein Herz hängt so stark an ihm, dass ich gar nicht verärgert sein kann. Ich kenne David Degen lange, ich wäre nie wütend auf ihn. Die Trennung verlief friedlich.
Sie haben ein Studium in Sportmanagement gemacht, führen mit Ihrer Mutter den Club de Bâle, bauen ein Haus, psychische Gesundheit ist Ihnen ein Anliegen. Es gibt so viele Dinge, die Sie interessieren. Wollen Sie wirklich noch einmal zurück in den Fussball?
Ich liebe diesen Sport über alles. Eigentlich wollte ich gar nie Fussballprofi werden. Ich habe als Junger nach einem Job gesucht und bin dann an einem ganz anderen Ort in meinem Traumjob gelandet. Und er gefällt mir so gut, dass ich so lange spielen will, wie ich körperlich mithalten kann. Eigentlich ist gut, was mir passiert ist. Ich kann bis zum Winter schauen, was mich interessiert nach der Karriere. Und wenn dann noch einmal ein Angebot kommt, dann gebe ich mich voll hinein. Ich würde gerne noch ein Abenteuer erleben: Australien, Japan, Amerika. Noch einmal eine neue Kultur kennenlernen. Meine Frau und ich lieben das, es öffnet den Blick.
Was wird es mit Ihnen machen, wenn Sie nicht mehr Timm Klose, der Fussballer, sind?
Pete Sampras oder Steffi Graf sind Vorbilder für mich. Sie hatten eine grosse Karriere, aber danach hörte man praktisch nichts mehr von ihnen. Ich werde nicht durch die Stadt laufen mit dem Gefühl, alle müssten mich kennen. Irgendwann ist Fussball vorbei. Irgendwann gerät man in Vergessenheit, so what?
Timm Klose
Der 33-Jährige wuchs in Basel auf. Sein Grossonkel war der bekannte Couturier Fred Spillmann, seine Mutter ist die Modeunternehmerin Daniela Spillmann. Nachdem er den Sprung in die erste Mannschaft des FCB nicht schaffte, spielte er für Thun, Nürnberg und Wolfsburg und in England für Norwich. Letzte Saison wurde er an den FCB ausgeliehen, danach aber nicht übernommen. Der Verteidiger löste den Vertrag mit Norwich auf und ist seither ohne Klub. 17 Mal hat Klose im Nationalteam gespielt.