Presseschau

NZZ vom 08.02.2023

Im Zeitpunkt geirrt, vielleicht auch im Chef

Der Trainer Alex Frei muss den FC Basel verlassen – der Präsident David Degen lässt ihm bemerkenswert wenig Zeit

Benjamin Steffen

Ende Dezember 2021: Der FC Basel gibt die vorzeitige Vertragsverlängerung mit dem Cheftrainer Patrick Rahmen bekannt. Nach vier Spielen im neuen Jahr entlässt der FCB Rahmen.

Mitte Dezember 2022: Der FCB-Präsident David Degen sitzt mit Rahmens Nachnachfolger Alex Frei an einer Pressekonferenz und sagt: «Ich glaube zu 100 Prozent an Alex – sonst wäre er heute nicht mehr da.» Nach vier Spielen im neuen Jahr entlässt der FCB Frei.

Am Dienstagmorgen haben die Basler die Trennung von Frei bekanntgegeben. In der Liga waren sie am Wochenende auf den siebenten Rang abgerutscht, nach einem 0:1 gegen GC. «Heute gehen wir völlig unverdient als Verlierer vom Platz», sagte der Sportdirektor Heiko Vogel.

Wenige Tage später lässt sich darüber streiten, ob Frei völlig unverdient entlassen worden ist. Die Diskussion führt ohnehin immer wieder zum Präsidenten Degen, der diesem Bild weitere Konturen gibt, das gern von ihm gezeichnet wird: das Bild des unberechenbaren und ungeduldigen Chefs. Die derzeitige Klassierung mag für FCB-Ansprüche ungenügend sein. Aber wie vor einem Jahr vergingen gar wenige Wochen, bis Degen diesen 100-Prozent-Glauben an einen Trainer verlor.

Vogel soll Profil erhalten
Degen übernahm den FCB im Frühling 2021, Frei war der erste Cheftrainer, den er aus freien Stücken auf diesen Posten hievte. Es war ein Entscheid für Lokalkolorit, für Nostalgie, für Verbundenheit. Degen und Frei hatten einst gemeinsam im FCB gespielt, nicht allzu lange, aber sie kannten sich aus der Region, aus der Szene, aus dem Nationalteam. Frei ist bis heute der erfolgreichste Schweizer Torschütze (84 Länderspiele, 42 Goals) und eine polarisierende Persönlichkeit. Kurz: Es gab Leute, die glaubten, Frei sei zu stark, als dass ihn Degen allzu früh fallenlassen würde. Sie irrten. Denn es ist kompliziert.

Im Communiqué zur Trennung von Frei wird Degen nicht zitiert, ebenso wenig eine Person aus der erweiterten Besitzerschaft, Dan Holzmann, Ursula und Andreas Rey-Krayer. Einzig Vogel kommt zu Wort, der erst seit kurzem als Sportdirektor im FCB arbeitet; Vogel ist es auch, der Frei interimistisch ersetzt – und der aus der Führungsriege öffentlich über die Entlassung reden soll, am nächsten Freitag. Es ist der Versuch, Vogel Profil zu geben und Degen aus dem Fokus zu nehmen.

Vogel räumt ein, wie «schwer dieser Entscheid selbstverständlich» falle – «das kann sich jeder vorstellen, der unsere besondere Zusammensetzung kennt». Frei und Vogel stehen sich nahe, Frei war ein Teamleader, als Vogel von 2009 bis 2012 als Assistenz- und Cheftrainer im FCB arbeitete. Auch Degen spielte unter Vogel oder Marco Streller, Freis langjähriger Sturmpartner, heute im FCB in der Technischen Kommission, die über sportliche Belange befindet.

Die Unentschlossenheit des FCB
Kürzlich ist Vogel zum FCB zurückgekehrt, auf einen Posten, der seit Degens Klubübernahme gar nicht mehr besetzt war. Spieler kamen und gingen zuhauf, aber es gab keine Person, die für diese Transfers offiziell verantwortlich zeichnete. Im Frühling 2022 stand der FCB kurz vor der Verpflichtung von Pascal Zuberbühler, der ehemalige Goalie sagte ab. Er wäre aber nicht für eine konzeptionelle Rolle vorgesehen gewesen, eher als Motivator, nahe bei der Mannschaft. Auch Rahmen soll der Sportchef-Job nach der Entlassung als Cheftrainer angeboten worden sein. In dieser fehlenden Definition einer Schlüsselposition spiegelt sich die Unentschlossenheit des FCB.

Unter dem vormaligen Spielerberater Degen ist der FCB zum Klub geworden, der die erste Mannschaft mit vielen jungen Spielern füttert, aus den verschiedensten Ländern und Klubs, oft nur leihweise. Dennoch schwebt Degen auch mit den FCB-Junioren Grosses vor. Mitte Dezember sagte Degen auch: «Wenn wir es hinbekommen in der eigenen Akademie, gespickt mit unserem Scouting, und wenn es irgendeinmal zündet – dann zündet es. Und dann steht der Nächste bereit, und zwar jedes Jahr.»

Aber es gilt vieles hinzubekommen im FCB, die Personalie Frei untermauert es. Es ist bemerkenswert wenig Zeit, die Degen einem Trainer und Typen lässt, den er doch so gut kennt. «Seine Ideen vom Fussball und von der Art und Weise, wie man eine Mannschaft führt, passen optimal zum FCB», sagte Degen am Tag von Freis Verpflichtung im Mai 2022. Kurz zuvor hatte Frei den FC Winterthur in die Super League geführt, nach einem Engagement von wenigen Monaten bloss. Sein rascher Abgang zeigte, wie sehr es ihn zum FCB zog, zu diesem grossen Klub, zu dieser vermeintlich grossen Chance.

Er habe mit sich gerungen, ob er das Angebot als FCB-Trainer annehmen wolle, sagte Frei später in der «NZZ am Sonntag»: Er sei sich «nicht ganz sicher» gewesen, «ob es der richtige Zeitpunkt für den Sprung zum FCB» sei. Aber: «Ich fühle mich im Moment so, dass ich die Energie habe, FCB-Trainer zu sein.»

«Menschliche Nähe als Vorteil»
2014 hatte Frei als Sportchef des FC Luzern entkräftet aufgegeben. In vertrauten Kreisen wies Frei jüngst wiederholt darauf hin, dass er es nie mehr so weit kommen lassen würde. Auch versuchte er den Eindruck zu hinterlassen, dass er sich im FCB unterstützt fühle, anders als damals in Luzern. Und doch bleibt der Schluss, dass der Sprung zum FCB offensichtlich nicht richtig war – der Zeitpunkt war falsch, vielleicht auch der Chef. Der Rückhalt war nicht gross genug, bei den Besitzern – und auch bei Vogel? Letzte Woche sagte Vogel gegenüber der NZZ, er sehe die menschliche Nähe zu Frei «als Vorteil: weil ich ihm noch direkter meine Wahrheit sagen kann.»

Ob Vogels Wahrheit oder andere Wahrheiten: Wie’s so ist nach einer Entlassung, war am Dienstag zu hören, im FCB-Umfeld seien schon länger Wahrheiten kursiert, die darauf hätten schliessen lassen, dass der Glaube an Freis Arbeit weniger als 100 Prozent betragen habe.

Ausländische Talente entwickeln
So irritierte Freis Rhetorik. Vor der ­Saison hatte er dem Team noch «unfassbar hohe Qualität» attestiert; jüngst stellte er sich fast trotzig vor die Mannschaft und sagte: «Doch, doch, doch, ich bin schuld. Der Trainer ist immer schuld.» Was zudem auf den ersten Blick gegen Frei spricht: dass er im Zentrum bald auf diesen Routinier setzte, Taulant Xhaka, und bald auf jenen, Fabian Frei.

Aber eben, es ist kompliziert. Auf den zweiten Blick gehen Insider so weit, dass einem FCB-Trainer gar nichts anderes übrigbleibe, als auf Fabian Frei, Taulant Xhaka oder auch Michael Lang zu verzichten – weil Platz sein müsse für junge Spieler, die finanziellen Profit versprächen, Wouter Burger, Andy Diouf oder Sergio López.

Freis Entlassung ist ein Zeichen dafür, dass Degen seine derzeit dominierende Idee der Entwicklung ausländischer Talente durchsetzen will – womöglich auch durchsetzen muss, weil das Geld fehlt, die Mannschaft mit arrivierten Spielern zu verstärken. «Wir sitzen in einem Komplex, den wir uns nicht leisten können», sagte Degen im Dezember. Nun braucht er Geld für den nächsten Trainer, der «optimal» zum FCB passt.

Dieser Sportdirektor Vogel, der am letzten Samstag noch fast verständnisvoll gesagt hatte, der FCB habe «völlig unverdient» verloren, liess sich am Dienstag so zitieren: Der FCB komme «nicht drumherum, zu handeln». Und: «Wir müssen an den FCB und seine Entwicklung denken.» Aber nicht nur betreffend Cheftrainer.

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