Presseschau

Basler Zeitung vom 29.03.2023

Aussennetz: Der Granit Xhaka aus Sursee

Es ist Länderspielpause. Oder wie man in Basel sagt: «die drey schlimmschte Dääg». Oder waren es sogar sieben Tage FCB-Dürre? Egal. Auf jeden Fall: Basel und die Schweizer Nationalmannschaft, das ist ja von jeher eine Geschichte voller Missverständnisse. FCB-Fans galten lange als eher desinteressiert, was die Nati angeht; die beiden sehr erfolgreichen Nati-Stürmer Marco Streller und Alex Frei gaben 2011 gemeinsam ihren Rücktritt aus dem Nationalteam, nachdem sie wiederholt ausgepfiffen worden waren. Und so sehr Granit Xhaka am Rheinknie als Ur-Basler geliebt und gefeiert wird, so umstritten ist er offenbar, auch als erfolgreichster Nati-Captain aller Zeiten, immer noch bei gewissen Nicht-Basler Nati-Fans.

Doch die nichtbaslerische Restschweiz, dieser seltsame Schmelztiegel aus Jassteppichen, Volg-Filialen und Turnerchränzli, kann so emotional getriggert reagieren, wie sie will: Sie wird nicht leugnen können, dass nicht nur der FCB seit Jahren der einzige Club ist, der die Schweiz in Europa als Quasi-Club-Nati gänzlich allein im europäischen Wettbewerb vertritt, sondern dass auch gerade die aktuelle Schweizer Nationalmannschaft, diese beste Schweizer Nati aller Zeiten, nichts anderes ist als eine Art zusammengewürfelter FC Basel Allstars.

Yann Sommer, Manuel Akanji, Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Breel Embolo, Cedric Itten, Renato Steffen, Fabian Schär, Noah Okafor, Eray Cömert, Dominik Schmid, Murat Yakin: Ein schier absurd grosser Teil aller aktueller Schweizer Stars wurden beim FCB aufgebaut, geprägt oder ausgebildet. Schwiizer Nati: alli vo uns!

Und wenn, wie jetzt, Breel Embolo verletzt ist und passen muss, dann kommt eben mit Zeki Amdouni der nächste Basler und schiesst, wie gegen Belarus, sein erstes Tor für die Nationalmannschaft Rotblau. Und vor allem: Diese beiden Nati-Spiele gegen Belarus und Israel dürften einige Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer noch brennender interessiert haben als gewöhnlich. Grund dafür ist eine hervorragend gemachte Dokumentation über die Schweizer Nati, die in den letzten Tagen auf SRF ausgestrahlt wurde: «The Pressure Game».

Die sechsteilige Serie des Ostschweizer Regisseurs Simon Helbling begleitete die Schweizer Männer-Fussballnationalmannschaft fast ein Jahr lang vor, während und nach der WM in Katar. Die Serie ist ganz offensichtlich der Formel-1-Dokuserie «Drive to Survive» auf Netflix nachempfunden, und sie ist - das kann man nach dieser ersten Staffel neidlos anerkennen - ein grosser Glücksfall für die SRG, die Schweizer Nati und alle Fussballinteressierten in der Schweiz.

Filmemacher Helbling und sein Team verstehen sich bei diesem Projekt denn auch nicht als Journalisten, sondern als eine Art «embedded vloggers», die mit der Kamera so nahe an die Schweizer Mannschaft rankommen wie kaum jemand zuvor. Man ist als Publikum ganz nah dabei, wenn sich die Schweizer Nati für Katar vorbereitet, sich Gregor Kobel und Jonas Omlin knallhart um die Torwartposition hinter Sommer duellieren, sich Freuler und Widmer und Akanji in Interviewszenen offenbaren - und Granit Xhaka rund um das Serbien-Spiel in Katar unter immensen Druck gerät.

Gerade weil sich die Doku so sehr auf die Seite der Nati-Stars schlägt, entfacht momentan eine interessante Diskussion über das Wechselverhältnis zwischen Fussball und Medien in der Schweiz. Ein Verhältnis, das geprägt ist von Nähe und Distanz, von Neutralität und gegenseitiger Abhängigkeit, das so kompliziert wie heikel ist - und von welchem auch der FCB und SRF nicht gefeit sind: So führte ein Video-Stunt der neuen, vielversprechenden SRF-Satiresendung «Studio 404», bei dem im Februar ein junger Comedian beim Heimspiel gegen Servette über die Bande sprang und kurzerhand auf der FCB-Trainerbank Platz nahm, kurzfristig zu einer kleineren Ehekrise zwischen dem FC Basel und SRF. Das Video wurde nie publiziert, und mittlerweile hat sich die Aufregung wieder gelegt. Und just in diesem Moment der allgemeinen Beruhigung schreibt nun diese Woche die Sportredaktion von CH Media, dass SRF-Nati-Kommentator Sascha Ruefer einige heikle Aussagen über Granit Xhaka aus der SRF-Dokumentation «The Pressure Game» habe entfernen lassen, weil man Ruefers Aussagen vielleicht falsch hätte interpretieren können.

Oha! Das ist zumindest eine hübsche Pointe in dieser langen Geschichte des offenbaren gegenseitigen Missverständnisses. Man könnte ja fast sagen, Sascha Ruefer ist quasi eine Art Granit Xhaka der Sportkommentatoren-Gilde: geliebt von den einen, missverstanden von den anderen. So oder so: Solange sich Sascha Ruefer die Haare nicht rotblau färben lässt, ist alles okay. Denn da hört dann die Freiheit der Satire auch für mich irgendwo auf.

Disclaimer: Gabriel Vetter arbeitet regelmässig auch als freischaffender Satiriker für diverse SRF-Formate, aber nicht für «Studio 404» - und er wurde wegen eines satirischen Stunts, den FC Basel betreffend, selber von Twitter gesperrt.

Gabriel Vetter

Gabriel Vetter (40) ist Satiriker, Kolumnist, Drehbuchautor - und eingefleischter FCB-Fan. Seine Kolumne «Aussennetz» erscheint alle zwei Wochen.

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