Presseschau

Basler Zeitung vom 10.02.2024

«Die FCB-Fans nahmen mir die lähmende Angst»

Der Stürmer spricht über Rassismus, seine Krise beim FC Basel und darüber, dass er lieber wieder hungern würde, als die letzten Monate nochmals zu erleben.

Dina Sambar, Oliver Gut, Linus Schauffert

Thierno Barry, die letzten Monate waren schwierig für Sie. Sie schossen keine Tore, wurden zur Zielscheibe für Hassnachrichten und befanden sich plötzlich mitten in der Basler Krise. Dann erzielten Sie gegen Winterthur endlich zwei Treffer. Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Als ich den Schuss zum 1:0 abgab, ging mir gar nichts durch den Kopf. Erst als der Ball ins Tor ging, fühlte ich eine Mischung aus ganz vielen Emotionen. Zum einen pure Erleichterung, denn auf diesen Moment habe ich lange gewartet. Zum anderen kamen Gedanken hoch an die ganze Arbeit, die ich investiert habe, und an mein verlorenes Selbstvertrauen.

Erzählen Sie von Ihrem verlorenen Selbstvertrauen.

Ich habe eine Saison mit 20 Toren in der zweiten belgischen Liga hinter mir. Ich dachte, dass es genau so weitergehen würde. Aber das war nicht der Fall. Das hat eine Negativspirale in meinem Kopf ausgelöst. Und mit den Trainerwechseln und den schlechten Resultaten wusste ich irgendwann nicht mehr, wie ich damit umgehen muss.

Haben Sie die Super League unterschätzt?

Nein, ich war mir bewusst, dass sie deutlich besser ist als die zweite belgische Liga.

Wann haben Sie realisiert, dass Sie nicht an Ihre Leistungen in Belgien anknüpfen können?

Nach den ersten zwei, drei Spielen machte ich mir noch nicht viele Gedanken. Trotz der Platzverweise. Doch irgendwann kam der Moment, in dem ich Angst davor hatte, kein Tor zu schiessen. Ich geriet in einen Teufelskreis. Das ging so weit, dass ich vor dem Tor in Panik geriet. Wie beispielsweise beim 0:3 gegen Lausanne-Ouchy. Da stand ich allein vor dem Torwart und war derart blockiert, dass ich gestolpert bin.

Wovor hatten Sie konkret Angst?

Einerseits davor, dass die Torerfolge ausbleiben. Aber auch davor, dass man mich kritisiert. Dass man sagt: Wir haben ihn für viel Geld gekauft, und er bringt keine Leistung. Solche Sätze gingen mir während des Spiels durch den Kopf.

Mit Ihren Befürchtungen lagen Sie teilweise richtig, denn in dieser schwierigen Zeit erhielten Sie auch immer wieder Hassnachrichten.

Ja, es kamen zahlreiche Kommentare. Das ging auch meinen Eltern nahe. Sie waren es, die mir in jener Zeit am meisten helfen mussten.

Was stand in diesen Nachrichten?

Dinge wie: Wo hast du gelernt, Fussball zu spielen? Und Dinge, die mit meiner Hautfarbe zu tun haben. So etwas habe ich bisher so noch nie erlebt. Aber ehrlich gesagt, treffen mich die rassistischen Nachrichten nicht. Leute, die so etwas schreiben, sind für mich einfach Idioten. Die Nachrichten, die sich auf meine fehlenden Tore bezogen, taten aber weh. Denn es ist meine Aufgabe, Tore zu schiessen. Dafür bin ich da. Und dadurch helfe ich auch meiner Familie.

Wie meinen Sie das?

Wenn meine Eltern in die Ferien fahren oder meine Schwestern sich etwas Tolles kaufen können, dann nur, weil ich Tore schiesse. Ich möchte ihnen das ermöglichen.

Wurden Sie auch auf der Strasse beleidigt?

Nein. Das läuft alles über die sozialen Medien.

Was haben diese negativen Nachrichten in Ihnen ausgelöst?

Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Und ich hinterfrage immer alles. Das ist eine Charaktereigenschaft, die ich habe. Doch ich konnte nicht nachvollziehen, warum mich diese Welle des Hasses trifft. Als 21-jähriger Spieler kann ich in meiner Karriere doch noch gar nicht so viel getan haben, was diesen Hass rechtfertigt. Wenn ich sehe, dass ich zehn Minuten gegen Ouchy spiele und dann von 200 negativen Kommentaren 199 meinen Namen beinhalten, frage ich mich schon, warum.

Haben Sie die Antwort auf Ihre Frage gefunden?

(lacht) Nein.

Sie erlebten schon als Jugendlicher harte Zeiten, da Sie in Armut lebten und manchmal das Geld fürs Essen fehlte …

Das stimmt. Ich bin in einer Familie mit wenig finanziellen Mitteln aufgewachsen. Als ich mit 16 Jahren in den Süden Frankreichs zog, um Fussball zu spielen, gab es Tage, an denen ich kein Geld fürs Essen hatte. Und als ich meinen Vertrag bei Sochaux unterschrieb, hatte ich eine Wohnung, in der nur ein Bett und ein Fernseher standen. Aber wenn du Fussball spielst, vergisst du diese Dinge.

Sie haben für den Fussball auch die Schule aufgegeben. Wenn Sie zurückblicken, war es das alles wert?

Ja. Heute sind meine Familie und meine Freunde dadurch glücklich. Das ist das Wichtigste. Aber es gab schwierige Entscheidungen. Beispielsweise, als ich mit 17 meinen Vater anrief und ihm sagte, dass mich mein Verein finanziell unterstützen wolle, ich dafür aber die Schule verlassen müsse und keinen Abschluss haben würde. Mein Vater überliess mir die Entscheidung, und ich schwor ihm, dass ich erfolgreich sein werde.

Hat Sie diese Zeit widerstandsfähiger gemacht?

Das dachte ich.

Aber?

Ich dachte, ich sei mental sehr stark. Aber die letzten sechs Monate in Basel waren die schwierigsten meines Lebens. Ich hätte lieber wieder nichts gegessen, als das durchzumachen. Auch wenn mir bewusst ist, dass die Dinge, die weiter zurückliegen, in der eigenen Erinnerung immer etwas ins Positive verklärt werden … Aber ich dachte im vergangenen Halbjahr wirklich oft, das alles sei ein Albtraum und ich wache irgendwann wieder auf. Erst wenn ich mich kniff, wurde mir klar: Verdammt, es ist die Realität.

Der FCB hat in einem Statement Stellung zu den Hassnachrichten bezogen. Hat das geholfen?

Seit mich der FCB über seine sozialen Netzwerke unterstützt hat, bekomme ich fast nur noch positive Nachrichten. Die wahren FCB-Fans wurden lauter und haben jene, die Hass verbreiten, quasi aufgefressen. Vielleicht sind sie noch da – aber ich sehe sie nicht mehr.

Haben Sie mittlerweile den Grund dafür gefunden, weshalb Sie die Leistung nicht sofort erbringen konnten?

Genau weiss ich es nicht. Es spielt sicher eine Rolle, dass ich mich nicht wie gewohnt auf die Saison vorbereiten konnte, da der Transfer nach Basel eher spät kam. Die Transferphase selbst war für mich auch ziemlich unruhig – ich wusste lange nicht, wie es weitergeht. Kommt hinzu, dass ich nach der unglaublich erfolgreichen Saison in Belgien wohl noch nicht ganz auf dem Boden angekommen war. Ich sagte den Verantwortlichen beim FC Basel: Macht euch keine Sorgen, ich brauche keine Zeit und werde sofort Tore erzielen. Und natürlich haben die beiden Roten Karten auch nicht geholfen.

Es gab zu Beginn Ihrer Basler Zeit Unklarheiten bezüglich Ihrer Position. Mal hiess es, Sie seien Mittelstürmer, dann war plötzlich von einem Flügel die Rede. Spielte auch das eine Rolle – und wo fühlen Sie sich am wohlsten?

Womöglich spielte es eine Rolle. Aber das mit der Position ist nicht so einfach zu beantworten. Denn ich betrachte mich als Angreifer, der überall spielen kann, überall auftaucht. Das liebe ich. Pässe spielen, dribbeln – nicht nur Abschlüsse suchen.

Demnach spielen Sie lieber in einem 4-4-2 als als einziger Stürmer?

Ja, wenn die Flügelspieler nicht rotieren, dann ist mir das lieber. Ich mag die Freiheit, auch mal auf die Flügel auszuweichen.

Was haben Sie unternommen, um aus der Krise herauszukommen?

Sechs Monate lang wusste ich nicht, was zu tun ist. Ich kannte es nicht, dass mich die Leute nicht mögen. Ich dachte mir: Verdammt, wieso habe ich die Messlatte so hoch gelegt? Was habe ich falsch gemacht? Ich habe doch nur Fussball gespielt. Und das ist, was ich liebe. Ich habe dann versucht, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und auf den kleinen Dingen aufzubauen, die ich richtig mache. Kopfballduelle zum Beispiel. Zudem habe ich mit den erfahrenen Spielern gesprochen.

Was haben die gesagt?

Jean-Kévin Augustin sagte mir vor der Winterpause: Fahr weit weg in die Ferien. Dein Handy nimmst du am besten gar nicht erst mit. Schau dir die Transfergerüchte nicht an. Und wenn du zurückkommst, wirst du es allen zeigen.

Haben Sie den Rat beherzigt?

Teilweise: Ich ging mit meiner Freundin nach Sansibar. Als ich zurückkam, war ich bereit. Vor dem Testspiel gegen Aarau kam Fabian Frei zu mir und sagte: Ich weiss, dass du heute ein Tor schiessen wirst. Dieser Satz hat mich an das erfolgreiche Jahr in Belgien erinnert. Und tatsächlich habe ich gegen Aarau getroffen.

Und Fabio Celestini?

Sagen wir mal so: Zu Beginn war es kompliziert. Da war das Spiel gegen Kriens, als er mich sofort für 90 Minuten auf die Bank gesetzt hatte. Auch danach habe ich nicht viel gespielt. Vor der Winterpause habe ich aber mit ihm gesprochen, das brauchte Überwindung. Ich fragte ihn, ob er auf mich zähle. Er sagte, dass er das tue. Mittlerweile weiss ich, dass er immer an mich geglaubt hat. Er wusste einfach, dass ich noch Zeit brauchte. Jetzt spüre ich sein Vertrauen voll. Und es liegt an mir, es durch harte Arbeit im Training und in den Spielen zurückzugeben.

Gab es auch Momente, in denen Sie keine Unterstützung erhalten haben?

Nein. Selbst wenn es schlecht lief, auch als ich die Roten Karten erhielt, war das Team für mich da.

Wir haben oft beim FCB angefragt, ob Sie für ein Interview zu haben wären. Warum wollten Sie nicht früher sprechen? Oder liess man Sie nicht?

Es war nicht per se so, dass ich nicht sprechen wollte. Aber ich denke, es war nicht der richtige Zeitpunkt, Interviews zu geben. Ich musste mich auf mich selbst konzentrieren und wollte zuerst gut arbeiten.

War es das Spiel in Winterthur, das den Knoten bei Ihnen gelöst hat?

Das denke ich nicht. Es war eher der Trainingsstart nach der Winterpause. Ich habe mich in den ersten Einheiten sofort gut gefühlt. Auch das Spiel gegen Bayern hat mir gutgetan. Als ich dort eine gute Chance vergeben hatte, rief die Kurve meinen Namen, um mich zu unterstützen. Ich bin, wie gesagt, ein hochemotionaler Mensch. Wenn das Publikum hinter mir steht, beflügelt mich das. Die FCB-Fans nahmen mir die lähmende Angst, die mich so lange blockiert hatte.

Warum haben Sie sich beim Torjubel die Ohren zugehalten?

Das war eine Antwort auf all die Kritik, die es in den vergangenen Monaten an mir gegeben hatte. Ich wollte sagen: Okay, ich bekomme mit, was ihr sagt, aber es beeinflusst mein Spiel nicht. Ich werde euch zeigen, dass ihr falschliegt.

Zweifeln Sie noch an Ihren Fähigkeiten?

Nein, Zweifel habe ich keine mehr. Ich fühle mich wieder wie letztes Jahr. Ich stehe auf dem Platz und will unbedingt ein Tor erzielen. Die beiden Treffer in Winterthur haben mir neuen Hunger gegeben. Aber ich weiss auch, dass ich jedes Training Vollgas geben und demütig bleiben muss.

Und damit ist auch die Krise komplett überstanden?

Wohl noch nicht ganz. Manchmal stolpere ich auf den sozialen Medien auch über Dinge, die passiert sind und mich an die letzten sechs Monate erinnern. Von einem Ende der Krise können wir reden, wenn ich Ende Saison zehn Tore geschossen habe.

Aber Sie fühlen sich nun wohl hier in Basel?

Die Stadt, das Land – ich habe mich hier immer wohlgefühlt. Aber seit meiner Rückkehr fühle ich mich auch in meiner Leidenschaft, die ich zum Beruf machen durfte, wieder deutlich besser. Ich lache mehr im Training, versuche mehr, mit den Leuten zu sprechen. Das war etwas, das mir abhandengekommen ist. Spass zu haben. Denn ich habe einen Job, den viele haben möchten. Das muss ich geniessen.

Können Sie der ganzen Erfahrung der letzten sechs Monate auch etwas Gutes abgewinnen?

Ja, in ein paar Jahren werde ich darauf zurückblicken und sehen, dass es mich auf den Boden zurückgeholt hat. Es hat mir klar gemacht, dass ich das Recht habe, Fehler zu machen. Und es hat mich sicherlich auch mental stärker gemacht.

Durch Ihren Einstand, die Penaltys, die Roten Karten, die Tore, aber auch durch Ihre Art, die in den Leuten viele Sympathien weckt, haben Sie bei vielen FCB-Fans bereits jetzt einen sehr besonderen Status – im positiven Sinne. Sind Sie sich dessen bewusst?

Ich denke, man wird mich hier nicht so schnell wieder vergessen (lacht). Aber ich möchte für fussballerische Erfolge in Erinnerung bleiben. Ich möchte, dass junge Fussballer von mir inspiriert werden und sich mit mir identifizieren.

Inwiefern?

Ich wünsche mir, dass eines Tages ein 21-Jähriger zu mir hochschaut und sagt: Thierno Barry hatte es auch schwer. Aber er hat gearbeitet – und er hat es geschafft.

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